Eisenmangel in der Schwangerschaft
Interview mit Prof. Dr. Renate Huch
swissmom: Die Klinik für Geburtshilfe am Universitätsspital in Zürich und Sie haben sich seit Jahren auf „Eisenmangel und Anämie (Blutarmut) in der Schwangerschaft und im Wochenbett“ konzentriert. Sie haben an der Klinik eine spezielle Anämiesprechstunde. Was bedeutet es für die Schwangere und ihr Baby, wenn es zu einer Anämie aufgrund von Eisenmangel kommt?
Prof. Huch: Anämie ist ein Mangel an roten Blutkörperchen (lat. Erythrozyten oder Erys) oder Hämoglobin (abgekürzt Hb). Das Hämoglobin transportiert den Sauerstoff im Blut. Sind zu wenige Sauerstoffträger da, ist also die sog. Transportkapazität zu niedrig, hat der Sauerstoffmangel Auswirkungen auf den mütterlichen und kindlichen Organismus. Das ist in der Schwangerschaft sehr schnell der Fall, weil der Sauerstoffbedarf sehr hoch ist, denn das Kind wächst und muss neues Gewebe bilden.
Interview mit Frau Prof. Dr. Renate Huch, Zürich
swissmom: Welche Rolle spielt das Eisen dabei?
Prof. Huch: Ohne Eisen können keine roten Blutkörperchen gebildet werden. Bei der Blutneubildung, die in der Schwangerschaft gesteigert wird, muss Eisen zur Verfügung stehen. Ist das nicht der Fall, kommt es unweigerlich zur Anämie als Folge eines Eisenmangels. Etwa 95% aller Anämien in der Schwangerschaft sind Eisenmangelanämien.
swissmom: Wie häufig besteht ein Eisenmangel in der Schwangerschaft?
Prof. Huch: Das ist leider sehr häufig, nicht nur in Drittweltländern. Eisenmangel ist auch bei uns die häufigste Nahrungsmangel-Problematik. Er ist häufiger bei Schwangeren als in allen anderen Bevölkerungsgruppen. Gute Zahlen über den Eisenmangel, bevor eine Anämie die Folge ist, existieren leider nicht. Der Eisenmangel mit seinen Auswirkungen entwickelt sich graduell. Zunächst nehmen die Eisenwerte im Blut ab, dann entleeren sich die Eisenspeicher im Körper (wobei das sog. Ferritin im Blut die Füllung der Speicher gut reflektiert), dann werden die roten Blutkörperchen nicht mehr in optimaler Qualität gebildet, und ganz zum Schluss erst nimmt die Zahl der roten Blutkörperchen ab. Eine Anämie ist bei Unterschreitung eines definierten Grenzwertes (Schwangerschaft unter 11 g/dl Hb, Wochenbett unter 10 g/dl) die Folge. Man schätzt, dass in Drittweltländern jede 2. Frau am Geburtstermin eine Eisenmangelanämie hat. In industrialisierten Ländern kann es immerhin noch jede 5. oder 6. Frau sein. In unserem Spital, in dem wir dieser Problematik sehr viel Aufmerksamkeit geben, ist es immer noch jede 10. Frau. Wir betrachten diesen Prozentsatz als viel zu hoch, weil eine Eisenmangelanämie grundsätzlich vermeidbar oder therapierbar ist.
swissmom: Warum ist der Eisenmangel in der Schwangerschaft so häufig?
Prof. Huch: Das liegt daran, dass es in jeder Schwangerschaft zu einer negativen Eisenbilanz kommt. Auch bei optimaler Nahrungszufuhr – ich komme später noch etwas ausführlicher darauf zurück - übersteigt der Bedarf des wachsenden Kindes die mögliche Aufnahme. Besonders in der Spätschwangerschaft kann also die Mutter Eisen über die Nahrung nicht in der Menge aufnehmen, wie es für ihren Körper und das Kind erforderlich ist. Es ist also beinahe ganz normal, dass sich in jeder Schwangerschaft die Eisenspeicher reduzieren oder entleeren. Und die Auswirkungen sind umso gravierender, je weniger die Eisenspeicher bei Beginn der Schwangerschaft gefüllt sind. Die heutigen Ernährungsgewohnheiten sind u.a. daran Schuld, dass viele Frauen die Schwangerschaft bereits mit entleerten Speichern beginnen. Eine Untersuchung aus dem Jahr 1998 zeigt, dass bis zu 40% der Frauen im gebärfähigen Alter entleerte Eisenspeicher haben.
swissmom: Die Folge ist dann, dass eine Anämie früher in der Schwangerschaft und u.U. ausgeprägter auftritt. Welche Auswirkungen hat das auf Mutter und Kind?
Prof. Huch: Jede Schwangerschaft und später die Geburt sind grosse körperliche Leistungen und erfordern grossen körperlichen Einsatz und Energie. Erste Symptome einer Eisenmangelanämie sind Müdigkeit, Schlappheit, Lustlosigkeit, alles wird anstrengend und belastend. Eine neuere Untersuchung aus der Schweiz bei nicht schwangeren Frauen zeigt, dass sogar alleiniger Eisenmangel, d.h. bevor eine Anämie entsteht, Müdigkeit erklären kann. Sicher ist das bei Schwangeren genauso oder ausgeprägter der Fall, nur gibt es in der Schwangerschaft auch andere gute Gründe, z.B. hormonelle Einflüsse, müde und nicht leistungsfähig zu sein. Nimmt der Schweregrad der Anämie zu, nimmt die Infektanfälligkeit der Schwangeren zu. Harnwegsinfekte z.B. haben einen engen Zusammenhang mit niedrigen Hb-Werten. Bei sehr ausgeprägter Anämie (unter 9 g/dl Hb) werden die Auswirkungen gravierender. Die Frühgeburtlichkeit steigt und das Wachstum des Kindes nimmt ab. Sauerstoffmangel ist die Ursache dafür.
swissmom: Wie kann man Eisenmangel und Eisenmangelanämie vermeiden?
Prof. Huch: Es gibt drei Wege, die Eisensituation des Körpers zu verbessern: Den Verbrauch reduzieren, den Verlust verringern oder die Aufnahme steigern. Es leuchtet ein, dass in der Schwangerschaft der Verbrauch nicht zu senken ist. Ärztlicherseits kann durch gute Geburtsleitung der Blutverlust bei der Geburt, mit dem viel Eisen verloren geht, vermindert werden. In der Regel aber wird der Hebel bei der Erhöhung der Aufnahme anzusetzen sein, und das kann man in einem gewissen Rahmen über die Nahrungsauswahl schaffen, wenn auch, wie bereits gesagt, die Eisenmobilisierung aus einer solchen Idealernährung nicht mit dem hohen Bedarf Schritt halten kann. Die wesentlichen Faktoren, die die Eisenaufnahme aus der Nahrung beeinflussen, sind die Anteile von Häm- und Nicht-Hämeisen (ich komme gleich darauf zurück) und die Balance der Faktoren, die die Aufnahme fördern oder behindern. In der durchschnittlichen Nahrung sind nur 10% Hämeisen, d.h. Eisen im (dunklen) Fleisch, Geflügel, Fisch, dessen Aufnahme sehr leicht erfolgt. Der grössere Anteil in der Nahrung ist das Nicht-Hämeisen, das durch Plus- oder Minusfaktoren eine bis zu 20fache Veränderung der Eisenresorption im Darm erfährt. Calcium pur z.B. oder ein Glas Milch zu einem Hamburger gegessen, kann die Eisenaufnahme um 50-60% reduzieren. Grob vereinfacht kann man im Hinblick auf die Nahrungseisen-Aufnahme unsere Lebensmittel in gute und schlechte einteilen. Gute sind – bereits erwähnt - Fleisch, Fisch, Geflügel und Gemüse, Salat, Obst, Fruchtsäfte mit viel Vitamin C, schlechte sind Getreideprodukte, pflanzl. Proteine, Fette, Milchprodukte, Calcium, Tee, Kaffee.
swissmom: Streng genommen müsste also jede Schwangere Eisenpräparate einnehmen?
Prof. Huch: Ja. Und viele Frauenärzte und –ärztinnen verschreiben Eisen auch routinemässig, so wie es auch die WHO als Prophylaxe eines Eisenmangels empfiehlt. Aber es gibt auch einige in der Ärzteschaft, die die generelle Supplementierung ablehnen, nur Risikogruppen – z.B. Vegetarierinnen – Eisen verschreiben oder indiziert, d.h. auf der Basis eines eindeutigen Eisenmangels im Blut Eisen verordnen.
swissmom: Was kann man tun, wenn man die Eisentabletten oder –kapseln nicht verträgt und Magenbeschwerden oder Verstopfung bekommt?
Prof. Huch: Eisen kann man heute auch sehr gut intravenös verabreichen und damit die Magenpassage umgehen. Diese Behandlungsform setzt sich immer mehr durch. Die i.v. Gabe hat auch den grossen Vorteil, dass man Eisenmangel und die Eisenmangelanämie sehr rasch korrigieren kann. Das ist ja in der Schwangerschaft unbedingt notwendig, will man nicht, so wie es früher in der Schwangerenbetreuung und im Wochenbett sehr üblich war, zur Bluttransfusion greifen. Immer mehr Patientinnen lehnen sie ab, weil etwaige Risiken gefürchtet werden, und es ist Aufgabe unseres Faches, Behandlungsstrategien zu erarbeiten, die Alternativen für eine Bluttransfusion darstellen. Im Vordergrund steht die Vermeidung des Eisenmangels durch gute Diagnostik und/oder prophylaktische, also vorsorgliche Eisenverordnung. Ist die Eisenmangelanämie bereits vorhanden und sogar ausgeprägt, muss das Hämoglobin schnellstens normalisiert werden (= Hb über 11 g/dl). Hier hat die moderne Medizin bei sehr niedrigen Hb-Werten, in der Schwangerschaft etwa unter 8 g/dl, noch einen weiteren segensreichen Fortschritt zu bieten, nämlich die Stimulierung der Blutbildung im mütterlichen Organismus durch Erythropoietin, kurz EPO. Wir in Zürich haben in solchen mütterlichen Notsituationen sehr gute Erfahrungen mit EPO gemacht. Bluttransfusion sind zu einer grossen Seltenheit geworden.