Gut be­ra­ten bei Ge­sta­ti­ons­dia­be­tes

In­ter­view mit Jael Gril­lo, Dia­be­tes­be­ra­te­rin

Schwangere misst ihren Blutzzucker
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swiss­mom: Was ver­steht man un­ter Ge­sta­ti­ons­dia­be­tes und wer ist be­son­ders ge­fähr­det, die­sen zu ent­wi­ckeln?

Jael Gril­lo: Ge­sta­ti­ons­dia­be­tes ist ein erst­ma­li­ges Auf­tre­ten ei­nes er­höh­ten Blut­zu­cker­wer­tes, meis­tens im letz­ten Drit­tel der Schwan­ger­schaft. Die hor­mo­nel­le Si­tua­ti­on führt zu ei­nem er­höh­ten In­su­lin­be­darf, der un­ter Um­stän­den nicht mehr aus­rei­chend ge­deckt wer­den kann. Fest­ge­stellt wird Ge­sta­ti­ons­dia­be­tes durch den ora­len Glu­ko­se­to­le­ranz­test, der mitt­ler­wei­le in den Schwan­ger­schafts­kon­trol­len bei Frau­en mit er­höh­tem Ri­si­ko rou­ti­ne­mäs­sig durch­ge­führt wird. Be­son­ders acht­sam sein muss man bei Frau­en, die eine fa­mi­liä­re Vor­be­las­tung ha­ben und bei Frau­en mit vor­be­stehen­dem Über­ge­wicht. Wenn ich mei­ne Pa­ti­en­tin­nen fra­ge, ob Dia­be­tes be­reits in der Fa­mi­lie auf­ge­tre­ten ist, ver­nei­nen sie die­se Fra­ge oft, doch bei ge­naue­rem Nach­ha­ken stellt sich her­aus, dass zum Bei­spiel die Gross­mutter an so­ge­nann­tem „Al­ters­zu­cker“ ge­lit­ten hat. Vie­len ist gar nicht be­wusst, dass dies ein Ri­si­ko­fak­tor für sie ist. Auf­fäl­lig ist zu­dem, dass Mi­gran­tin­nen sehr oft be­trof­fen sind. Die Grün­de da­für sind je­doch noch nicht voll­stän­dig ge­klärt. (Le­sen Sie hier mehr über wei­te­re Ri­si­ko­fak­to­ren und die Fol­gen von un­be­han­del­tem Ge­sta­ti­ons­dia­be­tes.)

swiss­mom: Gibt es ab­ge­se­hen von den ge­nann­ten Ri­si­ko­fak­to­ren auch an­de­re An­zei­chen, die auf Ge­sta­ti­ons­dia­be­tes hin­wei­sen kön­nen?

Jael Gril­lo: Wenn die Ul­tra­schall­mes­sung zeigt, dass das Kind eher gross ist und viel Frucht­was­ser vor­han­den ist, macht es Sinn, durch eng­ma­schi­ge Blut­zu­cker­kon­trol­len zu über­prü­fen, ob Ge­sta­ti­ons­dia­be­tes die Ur­sa­che sein könn­te.

Zur Per­son

Jael Grillo

Jael Grillo ist Diplomierte Pflegefachfrau und Diabetesfachberaterin HöFa I. Sie ist seit acht Jahren als Diabetesberaterin tätig. Viele der von ihr betreuten Patientinnen sind Frauen mit Gestationsdiabetes. Jael Grillo ist Mutter von zwei Söhnen. 

swiss­mom: Wie geht es wei­ter, nach­dem beim Glu­ko­se­to­le­ranz­test ein er­höh­ter Wert fest­ge­stellt wor­den ist?

Jael Gril­lo: Zu­erst wird wäh­rend ca. ei­ner Wo­che täg­lich der Blut­zu­cker ge­mes­sen. Die­se Mes­sun­gen wer­den zu Hau­se, un­ter den ganz den ganz ge­wöhn­li­chen Le­bens­um­stän­den vor­ge­nom­men. Die Mut­ter spürt nichts da­von, wenn die Grenz­wer­te über­schrit­ten wer­den, des­halb sind die­se re­gel­mäs­si­gen Mes­sun­gen sehr wich­tig. Bei er­höh­ten Wer­ten kann eine Er­näh­rungs­um­stel­lung schon sehr viel be­wir­ken. Auch Be­we­gung, ins­be­son­de­re nach den Mahl­zei­ten, trägt dazu bei, den Blut­zu­cker­spie­gel zu sen­ken. Wenn die Blut­zu­cker­wer­te trotz die­ser Be­mü­hun­gen wei­ter­hin er­höht sind, ist es sinn­voll, den Kör­per durch eine In­su­lin­the­ra­pie zu ent­las­ten. Auch wenn die Wer­te nach der Dia­gno­se gut sind, emp­fiehlt es sich, ein bis zwei­mal pro Wo­che den Blut­zu­cker­wert zu be­stim­men, denn ge­gen Ende der Schwan­ger­schaft kön­nen die Wer­te noch an­stei­gen.

swiss­mom: Er­näh­rungs­um­stel­lung und Be­we­gung – was ist dar­un­ter ge­nau zu ver­ste­hen?

Jael Gril­lo: Da­mit sich die Schwan­ge­re wei­ter­hin ge­sund und aus­ge­wo­gen er­nährt, ist eine in­di­vi­du­el­le Er­näh­rungs­be­ra­tung sehr zu emp­feh­len. Mit Be­we­gung ist nicht ein um­fas­sen­des Fit­ness­pro­gramm ge­meint. Ein zwan­zig­mi­nü­ti­ger Spa­zier­gang nach dem Es­sen ist oft­mals schon sehr hilf­reich. Da­bei ist es wich­tig, die ei­ge­nen kör­per­li­chen Gren­zen zu spü­ren und auch zu be­rück­sich­ti­gen.

swiss­mom: Wel­che Fol­gen hat es, wenn eine Schwan­ge­re we­der ihre Er­näh­rungs- und Be­we­gungs­ge­wohn­hei­ten um­stellt, noch eine In­su­lin­the­ra­pie be­kommt?

Jael Gril­lo: Wenn der Blut­zu­cker­spie­gel re­gel­mäs­sig über dem Norm­be­reich liegt, kann dies zu er­höh­ten Ri­si­ken für Mut­ter und Kind füh­ren. Bei der Mut­ter sind dies bei­spiels­wei­se eine schnel­le­re Ge­wichts­zu­nah­me, ein er­höh­ter Blut­druck und ein grös­se­res Ri­si­ko für eine Prä­eklamp­sie. Auch das Kind wächst schnel­ler, ins­be­son­de­re sein Bauch­um­fang. Dies kann den Ge­burts­vor­gang er­schwe­ren, wes­halb even­tu­ell eine Schnitt­ent­bin­dung nö­tig ist. Zu­dem kann das Kind nach der Ge­burt in die Un­ter­zu­cke­rung ge­ra­ten.

swiss­mom: Wie geht es nach der Ge­burt wei­ter?

Jael Gril­lo: In­ter­es­sant ist, dass sich mit der Ge­burt der In­su­lin­be­darf so­gleich wie­der nor­ma­li­siert. Ein bis zwei Tage nach der Ge­burt wird in der Re­gel der Blut­zu­cker­wert noch ein­mal kon­trol­liert. Da das Ri­si­ko, in­ner­halb der fol­gen­den zehn Jah­re Typ-2-Dia­be­tes zu ent­wi­ckeln, bei Frau­en mit Ge­sta­ti­ons­dia­be­tes stark er­höht ist, ist eine Nach­kon­trol­le ca. 6 Wo­chen nach der Ge­burt sehr emp­feh­lens­wert. Da­bei geht es ei­ner­seits dar­um, zu über­prü­fen, ob sich die Zu­cker­si­tua­ti­on wie­der nor­ma­li­siert hat und an­de­rer­seits dar­um, die Frau über prä­ven­ti­ve Mög­lich­kei­ten zu in­for­mie­ren. Da ein Typ-2-Dia­be­tes an­fäng­lich nicht spür­bar ist, ist es sinn­voll, jähr­lich eine Blut­zu­cker­kon­trol­le durch­füh­ren zu las­sen.

swiss­mom: Ganz kon­kret: Wel­che Prä­ven­ti­ons­mass­nah­men emp­feh­len Sie?

Jael Gril­lo: Ge­wichts­kon­trol­le, re­gel­mäs­si­ge Be­we­gung und die Bei­be­hal­tung der in der Er­näh­rungs­be­ra­tung er­ar­bei­te­ten neu­en Ess­ge­wohn­hei­ten tra­gen viel dazu bei, ei­ner Dia­be­teser­kran­kung ent­ge­gen zu wir­ken.

swiss­mom: Was bringt eine Dia­be­tes­be­ra­tung der Schwan­ge­ren?

Jael Gril­lo: Ziel ist, dass die Frau­en um­fas­send über das The­ma und all­fäl­li­ge Ri­si­ken des un­be­han­del­ten Ge­sta­ti­ons­dia­be­tes in­for­miert sind. Es gilt auch, Ängs­te ab­zu­bau­en, denn vie­le Frau­en sind ver­un­si­chert, wenn sie er­fah­ren, dass sie Ge­sta­ti­ons­dia­be­tes ha­ben. 

swiss­mom: Um wel­che Ängs­te han­delt es sich da­bei kon­kret?

Jael Gril­lo: Eine Frau fürch­te­te zum Bei­spiel, Dia­be­tes sei für das Kind an­ste­ckend und kön­ne durch das Stil­len über­tra­gen wer­den. Dies ist na­tür­lich nicht der Fall. Im Ge­gen­teil. Das Stil­len wirkt sich so­gar po­si­tiv aus, denn es senkt das Ri­si­ko für eine spä­te­re Er­kran­kung an Typ-2-Dia­be­tes. Auch der Angst, das Kind könn­te ei­nen Typ-1-Dia­be­tes be­kom­men, be­geg­ne ich in der Be­ra­tung. Die­sen Frau­en kann ich sa­gen, dass die Ur­sa­chen für ei­nen Typ-1-Dia­be­tes wei­ter­hin nicht gänz­lich ge­klärt sind und dass ihr Kind kein hö­he­res Ri­si­ko hat, als das Kind ei­ner Mut­ter ohne Ge­sta­ti­ons­dia­be­tes. 

swiss­mom: Gilt es auch beim Kind auf be­stimm­te Din­ge zu ach­ten, wenn die Mut­ter wäh­rend der Schwan­ger­schaft Ge­sta­ti­ons­dia­be­tes hat­te? 

Jael Gril­lo: Es wäre sinn­voll, den Kin­der­arzt oder die Kin­der­ärz­tin über das Vor­lie­gen von Ge­sta­ti­ons­dia­be­tes zu in­for­mie­ren, denn neue­re Stu­di­en wei­sen dar­auf hin, dass die Ver­an­la­gung für Adi­po­si­tas und die Ent­wick­lung ei­nes Typ-2-Dia­be­tes an das Kind ver­erbt wird.

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