Stimmt es, dass immer häufiger Zwillinge geboren werden?
Die Rate der Mehrlingsgeburten hat sich seit den 70er Jahren verdoppelt - aber nur bei zweieiigen Zwillingen und höhergradigen Mehrlingen.
Da muss man zunächst zwischen eineiigen und zweieiigen Zwillingen unterscheiden.
Die Geburtenrate eineiiger Zwillinge ist seit Beginn der Beobachtungen und unabhängig von der Region praktisch konstant. Sie kommen mit einer Wahrscheinlichkeit von 4:1000 zur Welt.
Bei zweieiigen Zwillingen und höhergradigen Mehrlingen (Drillinge, Vierlinge usw.) sieht das anders aus: Hier hat sich die Rate der Mehrlingsgeburten in den entwickelten Ländern seit den 70er Jahren verdoppelt.
Die wichtigsten Faktoren für diese Zunahme:
Alter der Frau: Das mütterliche Alter bei der Geburt steigt seit Jahren stetig an. Längere Ausbildungszeiten, der spätere Eintritt ins Berufsleben, Veränderungen der Lebens- und Verhaltensweisen etc. können das "Aufschieben" von Geburten erklären. Heute liegt das durchschnittliche Alter einer Erstgebärenden in der Schweiz bei 32 Jahren. Zwar haben Frauen umso mehr Probleme schwanger zu werden, je älter sie sind, aber falls es einschlägt, ist es umso wahrscheinlicher, dass sie Zwillinge bekommen. Das liegt daran, dass Frauen mit zunehmendem Alter häufiger zwei Eisprünge gleichzeitig haben. Wahrscheinlich steigt die Menge des sogenannten Follikelstimulierenden Hormons (FSH), das die Eizellreifung anregt. Und bei zwei sprungreifen Follikeln steigt die Wahrscheinlichkeit für eine Zwillingsschwangerschaft.
Künstliche Befruchtung wie IVF (In-vitro-Fertilisation) oder ICSI (Intracytoplasmatische Spermiuminjektion). Tatsächlich hat jedes sechste Zwillingselternpaar eine künstliche Befruchtung hinter sich. Um die Chancen auf eine erfolgreiche Schwangerschaft zu erhöhen, wurden früher immer mehrere Embryonen befruchtet und implantiert. Inzwischen tendieren die Reproduktionsmediziner aber dazu, nur ein oder zwei Embryonen einzusetzen. Mehr würden die Wahrscheinlichkeit für ein gesundes Kind nicht erhöhen, aber die Mutter einem grösseren Risiko in der Schwangerschaft aussetzen und zu bedrohlichen Frühgeburten führen. Drillingsgeburten werden deshalb schon wieder seltener.
Hormonbehandlung: Klappt es nicht mit dem Schwangerwerden, kann durch Hormongaben der Eisprung stimuliert werden. Auch hier sind die Mediziner inzwischen vorsichtiger geworden, denn durch „Überstimulation“ können zu viele Eizellen heranreifen und für Hochrisiko-Schwangerschaften mit drei und mehr Embryos sorgen. Eine sorgfältige Ultraschallkontrolle ist angesagt und schlimmstenfalls muss dann von Geschlechtsverkehr abgeraten werden.
Grösse und Gewicht der Frau: Eine amerikanische Studie hat die Zwillingsraten zwischen 1959 und 1966 untersucht, also bevor es künstliche Befruchtungen gab. Mit zunehmendem Body-Mass-Index (BMI) stieg die Wahrscheinlichkeit auf eine Zwillingsgeburt. Auch besonders grosse Frauen bekommen eher Zwillinge.
Gesundheit der Frau: Frauen, die Zwillinge bekommen, scheinen insgesamt gesünder zu sein als andere Mütter. Sie leben länger, bekommen mehr Kinder als erwartet, diese schneller hintereinander und über einen längeren Zeitraum hinweg. Die Zunahme von Mehrlingen ist also auch ein Zeichen dafür, dass es uns gesundheitlich besser geht.
Ernährung: Die Einnahme von Folsäure schon vor der geplanten Schwangerschaft, wie sie von Fachleuten zur Verhinderung eines Neuralrohrdefekts empfohlen wird, soll die Zwillingsrate leicht erhöhen. Auch die Maniokwurzel (Yam, wilde Süsskartoffel) und Milch soll – angeblich - den Eisprung stimulieren. Lesen Sie dazu aus unserem Bereich „Aktuell – Wissen“: Zwillinge durch Ernährung?
Vererbung: Zweieiige Zwillinge gibt es familiär gehäuft. Zum Beispiel hat die Schwester einer Zwillingsmutter eine doppelt so hohe Wahrscheinlichkeit, ebenfalls Zwillinge zu bekommen. Der Bruder einer Zwillingsmutter kann nur sein Gen weitergeben – seine Tochter hat eine höhere Chance auf eine Zwillingsschwangerschaft. Daher sieht es manchmal so aus, als ob eine Generation „übersprungen“ wird.
Bessere Schwangerschaftsvorsorge: Komplikationen und Auffälligkeiten können heute per Ultraschall oder Labortests früh erkannt und behandelt werden. Bei einer drohenden Frühgeburt wird Cortison zur Anregung der Lungenreife gespritzt. Die Zahl der totgeborenen Mehrlinge konnte so drastisch reduziert werden. Auch die intensivmedizinische Betreuung von Frühgeborenen hat sich sehr verbessert und damit sind die Überlebenschancen gestiegen.