Müt­ter ha­ben kei­ne Su­per­kräf­te

Schwangerschaftskolumne Woche 35 Superwoman

Ku­gel­bauch-Ko­lum­ne Wo­che 35


So, nun kann ich mei­ne ver­blei­ben­den Ar­beits­ta­ge an ei­ner Hand ab­zäh­len. Ab der 36. Schwan­ger­schafts­wo­che wer­de ich mich krank­schrei­ben las­sen. Ich habe mei­ne Krank­schrei­bung schon vor ei­ni­gen Wo­chen mit mei­ner Heb­am­me und mei­ner Gy­nä­ko­lo­gin ge­plant und habe auch mei­nen Chef früh­zei­tig dar­über in­for­miert, dass ich vier Wo­chen vor dem er­rech­ne­ten Ter­min mit Ar­bei­ten auf­hö­ren wer­de. Er hat es ge­ra­de so hin­be­kom­men, sich eine ab­schät­zi­ge Be­mer­kung von we­gen: „Du bist doch nur schwan­ger und nicht krank“ zu ver­knei­fen.

Wenn ich aber an­de­ren Müt­tern ganz un­ver­blümt da­von er­zäh­le, dass ich mich ohne jeg­li­che Schwan­ger­schafts­kom­pli­ka­tio­nen krank­schrei­ben las­se, höre ich im­mer wie­der: „Also ICH habe bis zum Tag vor der Ge­burt voll ge­ar­bei­tet."

Die Frau­en er­zäh­len mir das vol­ler Stolz und ich ver­ste­he sie. Das ist eine enor­me Leis­tung und war be­stimmt mit viel An­stren­gung ver­bun­den. Nur fra­ge ich mich, wann wir da­mit auf­hö­ren, eine sol­che Meis­ter­leis­tung, die in mei­nen Au­gen ein­fach nur un­mensch­lich ist, auch noch zu glo­ri­fi­zie­ren. Wen wun­dert’s, dass rund 15% al­ler Ma­mas an ei­ner postpar­ta­len De­pres­si­on lei­den, wenn wir die­ser enor­men kör­per­li­chen wie auch men­ta­len Leis­tung, wel­che die Mut­ter­schaft for­dert, kei­ne Be­ach­tung schen­ken? Ge­schwei­ge denn Wert­schät­zung ent­ge­gen­brin­gen.

Wer­fen wir ei­nen Blick über un­se­re Lan­des­gren­zen, se­hen wir, dass un­se­re Nach­barn längst schon er­kannt ha­ben, dass eine hoch­schwan­ge­re Frau nicht auch noch be­ruf­lich ab­lie­fern muss. In Deutsch­land und Frank­reich ist der ob­li­ga­to­ri­sche Mut­ter­schutz ab sechs Wo­chen vor dem er­rech­ne­ten Ge­burts­ter­min ein­zu­hal­ten. In Ita­li­en be­ginnt der Mut­ter­schutz so­gar zwei Mo­na­te vor er­rech­ne­tem Ge­burts­ter­min. Nur in der Schweiz scheint man das Ge­fühl zu ha­ben, wir müss­ten bis zur Ge­burt un­se­res Kin­des be­ruf­lich vol­le Leis­tung er­brin­gen. In mei­nen Au­gen ist das ein Miss­stand, den wir noch zu­sätz­lich an­feu­ern, wenn wir Schwan­ge­ren, die nicht bis zum Ge­burts­ter­min hin ar­bei­ten kön­nen oder wol­len, auch noch ein schlech­tes Ge­wis­sen ma­chen.

Mein Kör­per ist kei­ne Ma­schi­ne und ich mer­ke, dass ich mich nun mit Kopf und Herz auf die Ge­burt und den neu­en Le­bens­ab­schnitt, der vor mir liegt, vor­be­rei­ten möch­te.

Wir müs­sen doch schwan­ge­ren Frau­en wie auch den Müt­tern kei­ne Su­per­kräf­te zu­schrei­ben, wo kei­ne Su­per­kräf­te sind. Ma­mas sei­en Su­per­hel­din­nen, höre ich so oft. Doch ich fin­de, die­ses Bild ge­hört al­lei­ne in die Köp­fe un­se­rer Kin­der.

Denn erst, wenn wir mit die­ser Glo­ri­fi­zie­rung der Über­las­tung vie­ler Müt­ter auf­hö­ren, kön­nen wir auf­zei­gen, dass da et­was schief läuft. Ist es nicht end­lich an der Zeit, die ent­ste­hen­den und be­stehen­den Fa­mi­li­en zu un­ter­stüt­zen? Sei dies durch ei­nen ob­li­ga­to­ri­schen Mut­ter­schutz, eine an­stän­di­ge El­tern­zeit oder auch An­ge­bo­te, die Fa­mi­lie und Be­rufs­tä­tig­keit ver­ein­bar ma­chen. Wenn wir uns eine fa­mi­li­en­freund­li­che­re Schweiz wün­schen, kön­nen wir doch im Klei­nen da­mit an­fan­gen, in­dem wir da­mit auf­hö­ren, die gros­sen Her­aus­for­de­run­gen des El­tern­seins klein zu re­den. Wir kön­nen an­fan­gen, uns be­reits vor der Ge­burt un­se­res Kin­des vor ei­ner Über­for­de­rung zu schüt­zen, in­dem wir das Ge­spräch mit un­se­ren Gy­nä­ko­lo­gin­nen su­chen und uns vier Wo­chen vor er­rech­ne­tem Ter­min krank­schrei­ben las­sen.

Wir kön­nen in un­se­rer per­sön­li­chen Ge­schich­te mit ei­ner Ver­än­de­rung an­fan­gen. So ha­ben wir ganz be­stimmt auch bald vie­le Ar­beit­ge­ber auf un­se­rer Sei­te, die an ei­nem ge­re­gel­ten Mut­ter­schutz vor der Ge­burt in­ter­es­siert sind.

Die Ko­lum­nis­tin

Schwangerschaftskolumne_Portrait_Giulietta

Giulietta Martin ist Hebamme, Mama von drei kleinen Kindern und lebt im Berner Oberland. Unter mama.kritzelei veröffentlicht sie auf Instagram regelmässig humorvolle Szenen aus dem Familienalltag.

Letzte Aktualisierung: 30.01.2020, GM

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