Big Mother is watching you
Kugelbauch-Kolumne Woche 11
Endlich ist es soweit. Der grosse Tag ist gekommen. Babywatching in der Praxis von Frau Gynäkologin steht an. Papa und Mama werden klein „Muffin" im Bauch heute zum ersten Mal betrachten dürfen. Frau Gynäkologin möchte nämlich mittels Ultraschall die Tiefen meiner Gebärmutter erkunden. Endlich wird meine Schwangerschaft schwarz auf weiss bestätigt. Endlich werden wir erfahren, ob unser „Muffin" eine gemütliche Einzimmerwohnung gefunden hat. Oder ob es sich diese allenfalls mit einem Mitbewohner teilen muss.
Soviel zumindest zu unseren Fragen.
Frau Gynäkologin interessiert natürlich noch vieles mehr. Sie kennt nun mal all die vielen Möglichkeiten und Tests, wie wir unser Baby bereits jetzt auf mögliche Fehlbildungen untersuchen könnten. Ich kenne ebenfalls ganz viele gute Argumente für vorgeburtliche Untersuchungen und ebenso viele kritische Aspekte der Pränataldiagnostik. In den vergangenen Tagen haben der Papa und ich viel über dieses Thema diskutiert.
Boah, all diese Fragen hauen mich um.
So viele medizinische und noch mehr ethische Aspekte, die mit klarem Verstand fachlich erörtert werden möchten. Und mitten drin ich, der eben dieser klare Verstand zurzeit fehlt. Ich fühle mich, als könnte ich gerade nur mit dem Herzen denken. Nur mit meinem Bauchgefühl entscheiden.
Während wir über den Sinn und die Konsequenz dieses Ersttrimester-Tests diskutieren, geschieht in unseren Köpfen etwas Merkwürdiges. Wir fangen plötzlich an, über unsere neuen Rollen zu sprechen. Wir sprechen über unsere Vorstellung von uns als Eltern und darüber, was denn schon zum jetzigen Zeitpunkt unsere Aufgaben sind. Wir teilten dem Papa, mir und dann auch der lieben Frau Gynäkologin klare Verantwortungsbereiche zu.
Ich möchte gerne die Rolle der Mama, die sich einfach von ihrem Instinkt leiten lässt. Ich möchte mich so gerne weiterhin von diesem guten Bauchgefühl und dieser Liebe, die ich spüre, leiten lassen. Ich sehe meine Aufgabe vorerst darin, unserem „Muffin“ den Raum zum Gedeihen und den bestmögliche Nährboden dafür zu bieten.
Für den Papa scheint seine Rolle zurzeit noch etwas undefinierter. Bis er unser Baby im Arm halten kann, bleibt wohl in erster Linie die Instandhaltung des Brutkastens an ihm hängen. Sprich: die Mama bei Laune halten!
Der lieben Frau Gynäkologin möchten wir gerne die Verantwortung über all die wichtigen Blutwerte, Ultraschallmessungen und Urinstreifen abgeben. Soll sie gerne all die Werte messen, die sie braucht, um uns mit gutem Gefühl durch die Schwangerschaft begleiten zu können. Mit der Bemerkung, dass wir unser Kind unabhängig von jeglichen Testergebnissen heranwachsen lassen möchten, überlassen wir ihr gerne das Führen der Akte.
Und so dürfen wir nun also mit Freudentränen in den Augen die ersten Kinderfotos auf dem Bildschirm dieses Ultraschallgerätes geniessen. Wir dürfen dieses winzige Herz beim Pochen beobachten, während Frau Gynäkologin misst, was immer sie zu messen müssen glaubt. Ich gebe zu, dass mich ihr Lächeln und ihr zufriedenes Kopfnicken während der Ultraschalluntersuchung sehr freuen. Und das reicht völlig aus. Ich brauche keine Messwerte und keine lieb gemeinte Bemerkung dazu, ob unser „Muffin“ nun dem Papa oder doch der Mama gleicht. Ich sehe ein kleines Menschlein mit zwei Beinen strampeln und mit zwei Armen rudern. Ich sehe ein zweites Herz in mir schlagen.
Dieses Gefühl ist unbeschreiblich schön. Und das reicht für mich, um aus dieser gynäkologischen Praxis heraus zu fliegen. Und zwar auf Wolke 7.
Giulietta Martin ist Hebamme, Mama von drei kleinen Kindern und lebt im Berner Oberland. Unter mama.kritzelei veröffentlicht sie auf Instagram regelmässig humorvolle Szenen aus dem Familienalltag.