Schau mir in die Augen, Baby!
Was Ihr Baby vor und nach der Geburt sehen kann und wie sich Sehvermögen und Augenfarbe entwickeln
Die Augen sind das wichtigste Sinnesorgan des Menschen. Sie funktionieren wie eine Filmkamera: Visuelle Reize werden aufgenommen, in der Netzhaut in elektrische Impulse umgewandelt und über den Sehnerv an das Gehirn weitergeleitet. Aus der Kombination der Bildeindrücke beider Augen entsteht eine räumliche Vorstellung unserer Umgebung.
Vor der Geburt
Zu Beginn des zweiten Schwangerschaftsmonats wachsen Augenlider des Embryos zusammen und öffnen sich erst ab dem fünften Monat. Im siebten Monat sind sie ganz geöffnet, das Ungeborene kann Lichtveränderungen durch die Bauchdecken erkennen.
Anders als das Hörvermögen ist die Sehfähigkeit des Ungeborenen noch unterentwickelt. Der Gesichtssinn funktioniert von den Sinnesorganen eigentlich sogar als letztes. Dennoch reagieren Kinder ab der 16. SSW trotz geschlossener Augen mit erhöhtem Herzschlag und Pupillenverengung auf Hell-Dunkel-Veränderungen, z.B. wenn ein starker Lichtstrahl auf den Bauch der Mutter und direkt auf ihren Kopf gerichtet wird.
Nach der Geburt
Menschen können nach der Geburt noch nicht sofort gut sehen. Netzhaut und Sehnerv am Auge reifen erst in den ersten Lebensmonaten. Die Augen von Neugeborenen sind auch sehr lichtempfindlich. Der Sehsinn des Säuglings braucht sechs bis acht Monate, um sich zu entwickeln. Erst wenn Ihr Kind den ersten Geburtstag feiert, wird es ungefähr genauso viel sehen können wie ein Erwachsener. Das Gehirn lernt langsam, visuelle Signale zu verarbeiten, zwischen Farben zu differenzieren und Bewegungen zu folgen. Noch Primarschüler haben oft Schwierigkeiten, die Geschwindigkeit von bewegten Objekten, wie Autos, abzuschätzen.
Allerdings ist nicht wahr, dass neugeborene Babys nur verschwommene Bilder oder Schatten erkennen. Sie können auf einen Abstand von ungefähr 20 cm (etwa die Entfernung zwischen der Brust beim Stillen und dem Gesicht der Mutter oder des Vaters, der sog. "Dialogabstand") schon recht scharf sehen, am besten peripher, d.h. eher zur Seite als direkt nach vorne hin.
Weitere Abstände sind schwierig, da die Augenmuskeln noch nicht stark genug sind, um die Augenbewegungen zu koordinieren. Darum entsteht der Eindruck des Schielens. Die zusätzlichen Hautfalten an den Augenwinkeln (Lidfalten) tragen dazu bei, werden sich in den nächsten Monaten aber zurückbilden. Es dauert ungefähr sechs Wochen, bis Koordination funktioniert, und normalerweise hört dann auch das natürliche Schielen auf. Falls das Schielen nach drei Monaten immer noch besteht, müssten Sie das bei Ihrem nächsten Kinderarzt-Termin erwähnen.
Helligkeit
Ohne die Unterscheidung von unterschiedlichen Helligkeiten ist eine wichtige Fähigkeit des Sehens, die Kontrast- und Formwahrnehmung nicht möglich. Bereits unmittelbar nach der Geburt ist das Auge in der Lage, Helligkeitsunterschiede wahrzunehmen. In den ersten 20 Tagen nach der Geburt steigt die Helligkeitsempfindung stark an und nähert sich im Verlauf der ersten beiden Monate in etwa dem Wert von Erwachsenen.
Entfernungs- und Tiefenwahrnehmung
Beide Fähigkeiten hängen mit dem Sehen auf beiden Augen zusammen, die unterschiedlichen Informationen der beiden Netzhautbilder geben einen dreidimensionalen Eindruck. Ob das Entfernungs- und Tiefensehen angeboren oder erlernt ist, ist immer noch umstritten. Interessant ist, dass mit etwa 20 Wochen das Tiefensehen von Babys bereits unterscheiden kann, ob ein Objekt sich innerhalb oder ausserhalb des Greifraums befindet, ob es auf sie zukommt oder sich wegbewegt.
Im Alter von etwa sechs Monaten können Babys einen Abgrund als gefährlich realisieren und vermeiden. Bei einer Versuchsanordnung an einem scheinbaren Abgrund („visual cliff") wurde geprüft, ob Kinder von der „sicheren“ Seite zu ihrer Mutter krabbeln, die an der „tiefen“ Seite mit einem Spielzeug ihr Kind lockt. Interessanterweise meiden Kinder auch dann den Abgrund, wenn sie sich durch Beklopfen der Glasfläche über dem Abgrund von deren Festigkeit überzeugen können. Ihr visueller Eindruck signalisiert Gefahr, auch wenn diese nicht real ist.
Schwarz-weiss und Rot
Babys sehen sich alles, was man ihnen zeigt, einige Sekunden lang an, was darauf hinweist, dass sie das Objekt wahrnehmen. Je länger sie sich den Gegenstand anschauen, umso interessierter oder neugieriger sind sie. Scharfe Schwarz-Weiss-Kontraste können sie gut erkennen. Auch Streifen, Tupfen und Karos sind interessante Muster zum Anschauen. Gegen Ende des ersten Lebensmonats kann ein Baby Gegenstände im Anstand von einem Meter deutlich sehen und mit den Augen verfolgen.
Besonders fasziniert schauen sie sich bewegte Gesichter an, und wenn es nur ein Muster des menschlichen Gesichts ist - ein Kreis mit runden, dunklen Flecken. Vor allem die Eltern werden schnell wieder erkannt. Zunächst sehen Babys nur die Umrisse bzw. die Form eines Gesichts. Mit zwei Monaten beginnen sie aber, Merkmale innerhalb der Formkonturen stärker zu beachten. So werden Gesichter nicht mehr im Bereich des Haaransatzes oder Kinns, sondern meist im Bereich der Augen fixiert.
Farben kann ein Neugeborenes weniger gut als Formen unterscheiden, aber Rot ist die Farbe, auf die es am besten reagiert. Im Alter von zwei Monaten kann es die Farben Rot, Orange, Grün und Blau unabhängig von der Leuchtdichte einwandfrei von Weiss unterscheiden. Im Alter von drei Monaten können Babys weisses Licht von blau-grünen Farblichtern unterscheiden. Erst im Alter von vier Monaten hat es ein normales Farbensehen. Wenn ein Kindergartenkind die Farben noch nicht richtig benennen kann, heisst das nur, dass es ihm an den entsprechenden Wörtern fehlt.
Versteckspiele
Konstanzleistungen nennt man in der Wissenschaft die Fähigkeit zu erkennen, dass ein Gegenstand trotz veränderter Entfernung, Beleuchtung und Betrachtungsperspektive der gleiche ist (Objektkonstanz) und dass er auch existent ist, wenn er nicht wahrgenommen werden kann (Objektpermanenz). Dabei helfen uns eine Reihe von Korrekturprogrammen in unserem Gehirn. Hinweise auf Formkonstanz gibt es bereits bei Kindern im Alter von 50 - 60 Tagen.
Zeigt man einem zweimonatigen Kind ein Spielzeug, verbirgt es hinter einem Schirm, entfernt zuerst das Spielzeug, dann den Schirm, so zeigt das Kind Anzeichen von Erstaunen: Wo ist das Spielzeug verblieben? Im Alter von sechs Monaten blickt das Kind schon einem Gegenstand nach, der hinuntergefallen ist, und sucht einen Gegenstand, der teilweise verdeckt ist. Ab acht Monaten beginnt das Kind, versteckte Gegenstände zu suchen. Mit einem Jahr haben fast alle Kinder begriffen, dass ein Gegenstand auch dann vorhanden ist, wenn sie ihn nicht sehen.
Bekannte Gegenstände oder Personen auf Abbildungen oder Fotos zu erkennen, gelingt bereits Einjährigen, auch wenn sie das noch für wirkliche Gegenstände oder Personen halten. Erst im Verlauf des zweiten Lebensjahres begreift ein Kind, dass ein Abbild nur ein Symbol für ein Ding ist.
Die Augenfarbe
Der farbige Kreis rund um die Pupille heisst Iris. Die Augenfarbe entspricht der Farbe der Iris. Sie ist bei allen Neugeborenen blau. Die tatsächliche Augenfarbe entwickelt sich im Laufe des ersten Lebensjahres.