Ich weiss etwas, was du nicht weisst!
Kugelbauch-Kolumne Woche 7
Mein Bruder liess sich früher grausam von mir ärgern, wenn ich vorgab, ein ganz spannendes Geheimnis zu haben, welches er niemals erfahren werde. Als Kind fand ich es prickelnd, etwas zu wissen, was andere nicht wussten und es geheim zu halten. Noch prickelnder war natürlich, wenn mich mein Bruder dann verzweifelt mit Fragen bombardierte. Ich liess ihn zappeln und raten, bis es ihm gelang, mein Geheimnis zu lüften.
Seine Enttäuschung über das mühevoll gelüftete - meist aber absolut belanglose - Geheimnis war mir natürlich schnurz.
Liebes Kleinkind-Ich von damals: Geheimnisse sind Scheisse! Zumindest dann, wenn sie nicht belanglos sind. Wenn du sie der ganzen Welt erzählen möchtest, dein Verstand aber meint, dass der richtige Zeitpunkt dafür noch nicht gekommen sei.
Und als wäre es für mich nicht schon Herausforderung genug, die Klappe halten zu müssen, zählt leider auch Geduld nicht zu meinen Stärken.
Dass in meinem Bauch ein Menschlein heranwächst, wissen nur der werdende Papa und ich.
Ach ja, und wie erwartet, meine liebste Freundin.
Wir möchten es auch den werdenden Grosseltern gerne baldmöglichst mitteilen.
Und unseren Geschwistern.
Dem engen Freundeskreis.
Und all unseren Arbeitskollegen.
Und dem Briefträger.
Und natürlich meiner Lieblingsverkäuferin im Supermarkt.
Doch irgendwo in meinem Kopf liegt da auch noch ein kleiner, verstaubter Hebammenkoffer mit etwas Fachwissen aus meiner Studienzeit.
Ich weiss, dass das Risiko, dieses kleine Menschlein nicht austragen zu dürfen, bis zur zwölften Schwangerschaftswoche noch deutlich höher ist, als in der Zeit danach. Daran ändert auch unsere Freude über diese Schwangerschaft nichts.
Und doch ist es, wie es ist und "wes das Herz voll ist, des geht der Mund über".
Deshalb hab ich für mich eine „Wem-erzähl-ich’s?“- Regel definiert. Sie lautet, dass ich all den Menschen bereits jetzt von meiner jungen Schwangerschaft erzähle, denen ich wahrscheinlich auch von einer frühen Fehlgeburt erzählen würde. Ich nehme an, dass ich meine Trauer darüber nicht mit all meinen Arbeitskolleginnen teilen würde. Viel eher jedoch würde ich mich wohl heulend in den Armen meiner Lieblingsverkäuferin im Supermarkt wiederfinden.
Und so führt meine Regel dazu, dass die Arbeitskollegin noch etwas auf die frohe Botschaft warten muss, während die Verkäuferin meines Vertrauens unser Geheimnis mit uns teilen darf.
Ach Welt, ich freu mich darauf, unser Geheimnis bald mit dir teilen zu können!
In einigen Wochen werd ich dann wahrscheinlich tausend rote Herzen und ein süsses Baby auf ein Leintuch sprayen, „coming soon“ dazu schreiben und es von unserem Balkon hängen lassen.
Und bis es soweit ist, veranstaltet mein Kleinkind-Ich ein Geheimnis-Ratespiel im Familienchat.
Giulietta Martin ist Hebamme, Mama von drei kleinen Kindern und lebt im Berner Oberland. Unter mama.kritzelei veröffentlicht sie auf Instagram regelmässig humorvolle Szenen aus dem Familienalltag.