Das Tagebuch einer Hebamme

Schwangerschaftskolumne Woche 28 Gedankenkarussell
©
mama.kritzelei

Kugelbauch-Kolumne Woche 28


Mich haben diese verwunschenen Karussells noch nie fasziniert. Auf einer gruseligen Figur zu sitzen und, von lauter Musik begleitet, im Kreis zu drehen, dabei keinerlei Kontrolle über die Dauer dieses Ritts zu haben, ist nichts für mich. Nur leider muss ich jeden Abend meine obligaten Runden darauf drehen. Auf meinem Kopfkarussell.

Bisher hat mich mein Hebammenwissen gelassen und ruhig gemacht. Je näher der Geburtstermin rückt, desto häufiger aber lasse ich mich von meinem Fachwissen verunsichern. Wenn sich mir abends im Bett immer wieder der Gedanke an die bevorstehende Geburt unseres "Muffins" aufdrängt, bin ich wie gefangen in einem Kopfkarussell aus Geburtskomplikationen. Wo ich bisher tiefes Vertrauen in den weiblichen Körper besass, kommen nun immer wieder Zweifel auf. Zweifel, ob ich das denn wirklich schaffen werde, dieses Gebär-Dings.

Ich wünsche mir eine natürliche Geburt, aber werde ich das schaffen? Werde ich imstande sein, mit diesen Geburtsschmerzen umzugehen? Ob mein Vertrauen in diesen natürlichen Prozess tief genug ist? Ob ich mich wirklich ausreichend darauf vorbereite? Ob ich unserem "Muffin" einen möglichst sanften Start ins Leben ermöglichen kann? Ich muss sofort das Geburtsvorbereitungsbuch aus meiner Studienzeit hervorkramen.

Also steige ich, immer noch gedankenkreisend, auf den Dachboden und durchsuche die Box mit meinen Hebammenbüchern. Was die Fachliteratur an Geburtsvorbereitung hergibt, muss ich die kommenden Wochen noch verinnerlichen, sonst schaffe ich das nie. Da fällt mir mein Tagebuch aus meinem ersten Praktikum auf der Geburtenstation in die Hand.

Ich lasse die Seiten durch meine Finger gleiten und muss erstmal über meine fein säuberliche Schrift als junge, motivierte Hebammenschülerin schmunzeln. "Das sieht heute auch anders aus", murmle ich vor mich hin, als mein Blick an einem Eintrag nach einer Nachtschicht hängen bleibt: "Letzte Nacht haben zwei Mamas ziemlich gleichzeitig ihre Babys zur Welt gebracht. Beide bekamen sie das zweite Kind und beide waren so 'herzige' Frauen. So ganz natürliche, bodenständige Frauen. Beide wünschten sich eine natürliche Geburt. Das eine Baby kam nach nur fünfzehn Minuten Austreibungsphase in der Badewanne zur Welt. Die andere Mama mussten wir leider gegen Morgen in den OP bringen..." Darauf folgt eine Liste an Geburtskomplikationen.

Meinen Tagebucheintrag von damals schloss ich mit den Worten: "Bis anhin habe ich geglaubt, dass es einfach eine Sache der inneren Haltung einer Gebärenden ist, ob ein Baby natürlich oder eben 'künstlich' zur Welt kommt. 'Wenn man es nur will, dann schafft man es auch!' Nach dieser Nacht habe ich jedoch den Eindruck, dass es weit mehr ist. Die Einstellung einer Gebärenden, der Wunsch nach einer natürlichen Geburt, ist nur einer von vielen entscheidenden Faktoren. Einige Faktoren sind sicherlich von der Haltung der Frau abhängig. Einige Faktoren sind von ihrem Körper abhängig und der ist nun mal gottgegeben. Einige Faktoren sind von der Hebamme, von ihrer Kompetenz abhängig. Und dann ist da noch das Baby, das wohl auch noch seinen Teil dazu beiträgt, wie es zur Welt kommt. Zu guter Letzt glaube ich aber, dass da auch noch Faktoren mitspielen, welche weder die Gebärende, noch das Baby, noch die Hebamme beeinflussen können. Faktoren, die wir nicht einmal kennen. Manchmal kommt es mir vor, als wäre der Geburtsverlauf einfach vorbestimmt und obwohl sicherlich viele Faktoren in unseren Händen liegen, geht jede Geburt eben doch ihren eigenen Weg."

Die Worte dieser neunzehnjährigen Hebammenschülerin lassen mich innehalten. Sie geben mir meine Gelassenheit zurück. Denn plötzlich habe ich wieder Vertrauen in mich und diese natürliche Sache. Ich muss das gar nicht "schaffen", dieses Gebär-Dings. Ich muss es nicht alleine schaffen.

Ich wünsche mir eine natürliche Geburt und werde mein Bestes geben. Unsere Hebamme wird ihr Bestes geben. Unser „Muffin“ wird sein Bestes geben. Davon bin ich überzeugt. Alles Weitere liegt nicht in unseren Händen. Komplikationen können wir zu handeln versuchen, wenn sie da sind. Mir jetzt darüber den Kopf zu zerbrechen, ist keine sinnvolle Geburtsvorbereitung. Also lasse ich mein Kopfkarussell auf dem Dachboden. Ich werde es vorerst nicht mehr brauchen.

Die Kolumnistin

Schwangerschaftskolumne_Portrait_Giulietta

Giulietta Martin ist Hebamme, Mama von drei kleinen Kindern und lebt im Berner Oberland. Unter mama.kritzelei veröffentlicht sie auf Instagram regelmässig humorvolle Szenen aus dem Familienalltag.

Letzte Aktualisierung: 30.01.2020, GM