Fremd­be­treu­ung und kind­li­che Bin­dungs­fä­hig­keit

Frau spielt mit Kind
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Mit der For­de­rung nach Chan­cen­gleich­heit der Frau­en am Ar­beits­platz und in der Fol­ge nach mehr Ta­ges­schu­len sind die Aus­wir­kun­gen ei­ner Fremd­be­treu­ung auf den Nach­wuchs zu ei­nem hoch bri­san­ten und emo­tio­nal ge­la­de­nen The­ma ge­wor­den.

Es ist sehr zu be­für­wor­ten, wenn El­tern eine Fremd­be­treu­ung ih­res Kin­des, sei es in ei­ner Kita oder bei ei­ner Ta­ges­fa­mi­lie, gut über­den­ken. Da­bei sol­len die Chan­cen und Ri­si­ken so­wohl für das Kind als auch für die El­tern gründ­lich ab­ge­wo­gen wer­den.

We­der Fremd- noch Ei­gen­be­treu­ung  sind ganz grund­sätz­lich för­der­lich oder schäd­lich für die ge­sun­de Ent­wick­lung ei­nes Kin­des. Das Zau­ber­wort zur die­ser Fra­ge heisst Qua­li­tät. Dies gilt so­wohl für den Fremd­be­treu­ungs­platz wie auch für die Be­treu­ung durch die El­tern zu Hau­se.

Falls man sein Kind fremd­be­treu­en las­sen möch­te, soll­te man ab­klä­ren, ob ge­wis­se Vor­aus­set­zun­gen für eine qua­li­ta­tiv gute Fremd­be­treu­ung ge­ge­ben sind. In ei­ner gu­ten Kita ist das Per­so­nal qua­li­fi­ziert und die Be­treu­ungs­per­so­nen kön­nen fach­lich und zeit­lich auf die Be­dürf­nis­se des je­wei­li­gen Kin­des ein­ge­hen, was ei­nen an­ge­pass­ten Be­treu­ungs­schlüs­sel vor­aus­setzt. Aus­ser­dem soll­ten die Räum­lich­kei­ten si­cher, al­ters­ge­recht und an­spre­chend sein. Ganz wich­tig ist, dass das Kind eine oder nur we­ni­ge Be­treu­ungs­per­so­nen hat, und die­se nicht im­mer wie­der wech­seln.

Vie­le El­tern, die ihn Kind fremd­be­treu­en las­sen, stel­len sich die Fra­ge, wel­che Aus­wir­kun­gen die­se Be­treu­ungs­art auf die Bin­dungs­fä­hig­keit ih­res Kin­des ha­ben könn­te.

In den letz­ten Jah­ren sind et­li­che Stu­di­en zu die­ser The­ma­tik durch­ge­führt und pu­bli­ziert wor­den, je­doch gibt es nur we­ni­ge Lang­zeit­stu­di­en über Krip­pen­be­treu­ung. Die be­stan­ge­leg­te Stu­die ist eine US-Ame­ri­ka­ni­sche Längs­schnitt­un­ter­su­chung der „NICHD“ (Na­tio­nal In­sti­tu­te for Child Health an Hu­man De­ve­lop­ment), wel­che die Ent­wick­lung von mehr als 1000 Kin­dern über sie­ben Jah­re hin­weg er­forscht hat. Die­se For­schungs­er­geb­nis­se wer­den in Ver­öf­fent­li­chun­gen und Ar­ti­keln zu die­ser The­ma­tik im­mer wie­der er­wähnt und je nach Über­zeu­gung der Au­toren für ihre Sa­che aus­ge­legt.

Die er­wähn­te Stu­die ging un­ter an­de­rem der Fra­ge nach, ob Krip­pen­be­treu­ung eine schäd­li­che Aus­wir­kung auf Kin­der hat, in­dem sie Bin­dungs­un­fä­hig­keit ver­ur­sacht. Die­ses State­ment wird häu­fig von „Krip­pen-Kri­ti­kern“ an­ge­führt und gibt be­sorg­ten El­tern zu den­ken. Die Bin­dung zur Mut­ter (oder zur Haupt­be­zugs­per­son, das kann na­tür­lich auch der Va­ter sein) gilt tat­säch­lich als Mass­stab für das spä­te­re Selbst­ver­trau­en und die Fä­hig­keit, ge­lun­ge­ne Be­zie­hun­gen im Le­ben ein­zu­ge­hen.

Im Nor­mal­fall baut ein Kind sei­ne Bin­dung zu min­des­tens ei­ner Be­zugs­per­son in der frü­hen Kind­heit (bis 2 Jah­re) auf. Die­se ers­ten zwei Jah­re sind für die Ent­wick­lung ei­nes Kin­des sehr wich­tig. Un­re­gel­mäs­sig­kei­ten (z.B. häu­fi­ger Wech­sel der Be­zugs­per­so­nen) kön­nen in die­ser Pha­se eine Aus­wir­kung auf das Bin­dungs­ver­hal­ten des Kin­des ha­ben. Dies heisst je­doch nicht, dass ein Kind die­se ge­sun­de Bin­dung am bes­ten zu Hau­se bei sei­nen El­tern auf­bau­en kann.

Die Stu­die hat näm­lich er­ge­ben, dass we­der das ge­wähl­te Be­treu­ungs­ar­ran­ge­ment als sol­ches noch der Um­fang der Fremd­be­treu­ung ei­nen Ein­fluss auf die Bin­dungs­si­cher­heit der Kin­der ha­ben. Denn nicht die ge­wähl­te Be­treu­ungs­form, son­dern eine man­geln­de Fein­füh­lig­keit und Sen­si­ti­vi­tät der Müt­ter (aber auch der Vä­ter) gilt als aus­schlag­ge­ben­der Ri­si­ko- oder Chan­cen­fak­tor. Ist die Fremd­be­treu­ung qua­li­ta­tiv be­son­ders gut, kann sie bis zu ei­nem ge­wis­sen Grad so­gar un­güns­ti­ge in­ner­fa­mi­lia­le Ent­wick­lungs­ein­flüs­se kom­pen­sie­ren.

Ge­ne­rell gilt, dass der Ein­fluss der Fa­mi­lie auf die Ent­wick­lung ei­nes Kin­des viel stär­ker ist als der­je­ni­ge der Fremd­be­treu­ung, dies gilt spä­ter auch für die Schu­le. Aus­ser­dem scheint die Fa­mi­lie eine stär­ke­re Wir­kung auf die ko­gni­ti­ve Ent­wick­lung (Den­ken, Ler­nen), die Fremd­be­treu­ung da­ge­gen mehr Ein­fluss auf die so­zia­le Ent­wick­lung zu ha­ben.

Schliess­lich ha­ben die Stu­di­en er­ge­ben, dass die Aus­wir­kun­gen auf fremd­be­treu­te Kin­der mit der Qua­li­tät des Be­treu­ungs­an­ge­bots ein­her­ge­hen. El­tern soll­ten sich also sehr gut über die Kita, den Hort oder die Ta­ges­be­treu­ung in­for­mie­ren und die­se ein­ge­hend prü­fen.

Letzte Aktualisierung: 23.03.2020, JL