Me­di­ka­men­tö­se Be­hand­lung von ADHS

Kind bekommt Tabletten
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Ne­ben der El­tern­be­ra­tung und dem Ver­hal­tens­trai­ning kann eine Auf­merk­sam­keits­de­fi­zit-Hy­per­ak­ti­vi­täts­stö­rung (ADHS) in aus­ge­präg­ten Fäl­len bei Schul­kin­dern auch mit Me­di­ka­men­ten be­han­delt wer­den. Weil bei Kin­dern un­ter sechs Jah­ren bis­her nur ge­rin­ge Er­fah­rung vor­lie­gen, soll­te ein ADHS im Kin­der­gar­ten­al­ter nur in be­son­ders be­grün­de­ten Fäl­len me­di­ka­men­tös be­han­delt wer­den.

Psy­cho­sti­mu­lan­zi­en sind kei­ne Be­ru­hi­gungs­mit­tel. Den­noch be­ru­hi­gen und dämp­fen sie den Be­we­gungs­drang des be­trof­fe­nen Kin­des bzw. Ju­gend­li­chen so­weit, dass die Kon­zen­tra­ti­ons­fä­hig­keit ver­bes­sert wird und üb­ri­ge The­ra­pi­en (z.B. Psy­cho­the­ra­pie, Lo­go­pä­die, Er­go­the­ra­pie) grös­se­re Er­folgs­chan­cen ha­ben. Sie be­wir­ken kei­ne Cha­rak­ter­ver­än­de­run­gen und las­sen auch po­si­ti­ve Ei­gen­schaf­ten von ADHS-Kin­dern, z.B. eine be­son­de­re krea­ti­ve Gabe, nicht ver­schwin­den.

Rita­lin® und Con­cer­ta®


Die am häu­figs­ten ein­ge­setz­te Sub­stanz ist Me­thyl­phe­ni­dat oder MPH (Prä­pa­ra­tena­men z.B. Rita­lin®, Con­cer­ta®). Sie wirkt im Be­reich der Ner­ven­endi­gun­gen, an de­nen die Si­gnal­über­mitt­lung er­folgt und ver­län­gert dort die Wirk­dau­er der Ner­ven-Bo­ten­stof­fe. Da­durch kön­nen ein­strö­men­de Rei­ze an­schei­nend bes­ser ge­fil­tert und ver­ar­bei­tet wer­den.

Die Me­di­ka­men­ten­men­ge so­wie de­ren Wirk­dau­er sind von Pa­ti­ent zu Pa­ti­ent sehr un­ter­schied­lich und müs­sen in­di­vi­du­ell her­aus­ge­fun­den wer­den. Die Wirk­dau­er ei­ner Ta­blet­te ist nor­ma­ler­wei­se re­la­tiv kurz, nur etwa zwei bis vier Stun­den. Um dem Kind eine Wir­kung über sei­ne gan­ze Wach­heits­pha­se zu si­chern, muss­te das Me­di­ka­ment bis vor kur­zem mehr­mals täg­lich ein­ge­nom­men wer­den. Neu­er­dings hat sich des­halb in vie­len Fäl­len eine län­ger wir­ken­de Re­tard­form be­währt.

Die ex­ak­te Do­sie­rung ist wich­tig


In der mehr­wö­chi­gen Ein­stell­pha­se der Be­hand­lung sind Rück­mel­dun­gen be­züg­lich der Wir­kung des Me­di­ka­ments durch die Kin­der selbst, ihre Leh­rer und El­tern über­aus wich­tig. Am An­fang wird die ge­rings­te wirk­sa­me Do­sis er­mit­telt, in­dem man die Wirk­stoff­men­ge lang­sam stei­gert. Die­se Do­sis ist bei je­dem Kind in­di­vi­du­ell ver­schie­den. Ärzt­li­che Kon­trol­le ist wäh­rend der ge­sam­ten Ein­nah­me­dau­er un­ver­zicht­bar; in Ei­gen­re­gie dür­fen Art und Höhe der Do­sie­rung nicht ver­än­dert wer­den. Setzt man das Arz­nei­mit­tel ab, tre­ten die Pro­ble­me so­fort wie­der auf. Die Lang­zeit­the­ra­pie mit Me­thyl­phe­ni­dat kann sich da­her über Jah­re bis ins Er­wach­se­nen­al­ter hin­ein zie­hen.

Wel­che Ne­ben­wir­kun­gen hat Rita­lin®?


Me­thyl­phe­ni­dat ist bei 70-80% der Be­han­del­ten wir­kungs­voll und macht nicht ab­hän­gig, so­fern es rich­tig an­ge­wen­det und do­siert wird. Als mög­li­che Ne­ben­wir­kun­gen kön­nen z.B. Ap­pe­tit­man­gel, Schlaf­stö­run­gen, Stim­mungs­schwan­kun­gen, Kopf- oder Bauch­schmer­zen auf­tre­ten. Aus­ser­dem soll sich Me­thyl­phe­ni­dat ne­ga­tiv auf das Län­gen­wachs­tum der Kin­der aus­wir­ken.

Trotz ih­rer ho­hen Wirk­sam­keit bei ge­rin­gen Ne­ben­wir­kun­gen ist die Sub­stanz, die un­ter das Be­täu­bungs­mit­tel­ge­setz fällt, nicht un­um­strit­ten. Die Geg­ner be­kla­gen, dass durch die Ru­hig­stel­lung in ei­ner "che­mi­schen Zwangs­ja­cke" den Be­trof­fe­nen bzw. de­ren El­tern die Ver­ant­wor­tung für ihr ei­ge­nes Tun und Ver­hal­ten durch den Ein­satz von Me­di­ka­men­ten weit­ge­hend ab­ge­nom­men wird. An­de­rer­seits kommt es prak­tisch nie zu ei­ner spon­ta­nen Bes­se­rung, und un­be­han­delt ver­schlech­tert sich die Si­tua­ti­on für die ADHS-Pa­ti­en­ten in Schu­le und Fa­mi­lie im­mer mehr. In vie­len Fäl­len er­mög­licht erst die Ein­nah­me des Me­di­ka­ments, dass Er­zie­hungs­mass­nah­men oder eine Ver­hal­tens­the­ra­pie wirk­sam wer­den kön­nen.

Gibt es Al­ter­na­ti­ven zu Rita­lin®?


Al­ter­na­tiv zum Me­thyl­phe­ni­dat kön­nen auch Am­phet­ami­ne, sel­te­ner Anit­de­pres­si­va und Neu­ro­lep­ti­ka ge­ge­ben wer­den. Der se­lek­ti­ve Nor­ad­re­na­lin-Wie­der­auf­nah­me­hem­mer Atomo­xe­tin (ATX, Strat­ter­a®) zählt nicht zu den Psy­cho­sti­mu­lan­zi­en und fällt des­halb nicht un­ter das Be­täu­bungs­mit­tel­ge­setz. Er hat sich in in­ter­na­tio­na­len Stu­di­en eben­falls als wirk­sam in der Be­hand­lung von ADHS er­wie­sen. Atomo­xe­tin hat sei­ne vol­le Wirk­sam­keit oft erst nach meh­re­ren Wo­chen der Ein­nah­me er­reicht und wirkt dann aber kon­ti­nu­ier­lich über den ge­sam­ten Tag, die be­trof­fe­nen Kin­der brau­chen es nur ein­mal täg­lich ein­zu­neh­men. Das Prä­pa­rat ist seit 2009 auf dem Schwei­zer Markt zu­ge­las­sen.

In meh­re­ren Stu­di­en konn­te eine po­si­ti­ve Wir­kung der Nah­rungs­er­gän­zung mit lang­ket­ti­gen un­ge­sät­tig­ten Fett­säu­ren (Ome­ga-3-Fett­säu­ren, z.B. Do­co­sa­he­xa­en­säu­re DHA, Ei­co­sapen­ta­en­säu­re EPA, Al­pha-Lin­o­len­säu­re ALA) auf Kin­der mit Auf­merk­sam­keits­stö­run­gen und Hy­per­ak­ti­vi­tät ge­zeigt wer­den. Bei mehr­mo­na­ti­ger Be­hand­lung wur­den deut­li­che Ver­bes­se­run­gen bei der Lese- und Sprech­fä­hig­keit so­wie im Ver­hal­ten be­ob­ach­tet.

An­de­re The­ra­pie­ver­fah­ren, wie be­stimm­te Diä­ten (Ver­zicht auf Ge­trei­de- und Kuh­milch­pro­duk­te, Fleisch, Phos­pha­te oder Farb­stof­fe), Ho­möo­pa­thie, Bach­blü­ten und Ma­gnet­re­so­nanz­the­ra­pie ha­ben sich bis­lang nicht durch­ge­setzt.

Letzte Aktualisierung: 18.03.2020, BH