Was ich sage - und was mein Sohn hört
Mein zweitjüngster Sohn verbringt viel Zeit in seiner Fantasiewelt, weil es dort einfach viel schöner und bunter ist als in diesem doofen, von Erwachsenen dominierten Alltag. Das führt dazu, dass wir manchmal ein wenig aneinander vorbeireden.
Ich sage: "Kind, wir müssen noch schnell ins Brockenhaus. Kommst du mit?"
Er hört: "Kind, wir müssen noch schnell ins Brockenhaus. Kommst du mit? Es hat dort einen ganzen Berg voller Spielsachen. Macht überhaupt nichts, dass du dein Taschengeld bereits aufgebraucht hast, ich werde dir alles kaufen, was du dir wünschst."
Ich sage: "Kind, räum bitte dein Zimmer auf."
Er hört: "Kind, ich verbanne dich für den Rest deines Lebens auf dein Zimmer, wo du aufräumen musst, bis du alt und grau bist. Von nun an gibt es nie mehr etwas zu essen für dich, spielen ist streng verboten und deine Freunde wirst du nie wieder sehen. Vor deiner Zimmertür wird ein furchtbarer Drache wachen, damit du nicht etwa auf die Idee kommst, zu entweichen."
Ich sage: "Wir essen gleich. Deckt bitte den Tisch."
Er hört: "Das Schlaraffenland ist eröffnet! Kommt herbei und lasst euch die gebratenen Tauben in den Mund fliegen! Und wenn die Teller leer sind, gibt's eine Badewanne voller Glace mit Schlagrahm."
Ich sage: "Den Kuchen essen wir erst zum Zvieri."
Er hört: "Den Kuchen essen wir erst zum Zvieri. Geh schnell in die Bäckerei und hol dir ein paar Süssigkeiten, um die zuckerfreie Zeit bis vier Uhr zu überbrücken, sonst reichen deine Kräfte niemals den ganzen Nachmittag. Man sollte stets darum besorgt sein, genügend Süsses im Bauch zu haben."
Ich sage: "Vielleicht können wir morgen Abend zusammen einen Film schauen."
Er hört: "Fernseher einschalten, Popcorn zubereiten, Fensterläden zu und dann kann der Spass losgehen. Lasst uns einen Filmmarathon veranstalten, der bis morgen Abend dauert. Wer am längsten glotzen mag, hat gewonnen."
Ich sage: "Du solltest dringend ein Bad nehmen. Aber setz dabei bitte nicht wieder das ganze Badezimmer unter Wasser. Und nimm nicht zu viel Badezusatz."
Er hört: "Du solltest dringend ein Bad nehmen. Wetten, du schaffst es wieder nicht, einen Schaumberg bis zur Zimmerdecke zu produzieren und das Wasser überlaufen zu lassen? Und sorg dafür, dass die Flasche mit dem Badezusatz leer wird, damit du sie als Boot durch die Wanne fahren lassen kannst."
Ich sage: "Wenn du Lust hast, darfst du heute mit einem Freund abmachen. Mach aber zuerst noch deine Hausaufgaben."
Er hört: "Warum lädst du heute Nachmittag nicht die halbe Schulklasse zu uns nach Hause ein? Ich hätte furchtbar Lust, für euch eine spontane Party zu schmeissen, so richtig mit Spielen, Klamauk und einem zünftigen Zvieri. Lass die Hausaufgaben einfach sausen, ist ohnehin nur Zeitverschwendung."
Ich sage: "Wie oft muss ich noch sagen, dass ihr nicht aufs Garagendach klettern sollt? Das ist gefährlich. Kommt sofort da runter."
Er hört: "Bla bla bla aufs Garagendach bla bla bla bla bla bla bla sofort bla bla bla!"
Ich sage: "Zeit zum Schlafen. Kommt, wir singen noch ein paar Lieder und dann ist Feierabend."
Er hört: "Zeit zum Schlafen. Kommt, wir singen das ganze Liederbuch durch, dann erzähle ich eine Geschichte, dann zeigst du mir, was du heute alles gezeichnet hast, dann erzählen wir einander ein paar Witze, dann spielst du ein kleines Spiel mit deinem Bruder, dann trinkst du eine Honigmilch und dann, wenn uns nichts mehr einfällt, was wir zusammen anstellen könnten, ist Feierabend."