Wenn Eltern wütend werden: Tipps für einen guten Umgang mit Wut
Geduldig, freundlich, ermutigend und stets zu einem Spässchen aufgelegt - so sind die Eltern, die uns in Werbung und Filmen präsentiert werden. Und so wären wohl fast alle Mütter und Väter gerne in ihrem Alltag. Doch die Realität sieht oft ganz anders aus. Da weiss man vor lauter Verpflichtungen zuweilen kaum mehr, wo einem der Kopf steht. Tanzt dann auch noch der Nachwuchs gekonnt auf den elterlichen Nerven herum, reicht oftmals eine Kleinigkeit, damit der Mama oder dem Papa der Kragen platzt. Im ersten Moment fühlt sich das befreiend an. Und im zweiten Moment meldet sich das schlechte Gewissen: Habe ich jetzt in meiner Elternrolle total versagt?
Was ist eigentlich Wut?
Ein Versagen ist es ganz bestimmt nicht, wenn Eltern wütend werden. Gehen Sie hin und wieder an die Decke, bedeutet dies auf gar keinen Fall, dass Sie eine schlechte Mutter oder ein schlechter Vater wären. Wütend zu werden ist absolut menschlich und es wäre vollkommen unnatürlich, diese starken Empfindungen stets unter dem Deckel zu halten.
Wut ist nämlich in erster Linie einfach eine heftige Emotion, die sich dann bemerkbar macht, wenn wir eine Situation als äusserst unangenehm empfinden. Wird dabei eine persönliche Grenze überschritten oder fühlen wir uns in unseren Rechten verletzt, reagieren wir mit Wut. Sie signalisiert uns selbst und unserem Umfeld: Halt - das geht zu weit!
Wütend zu werden ist also erst einmal nichts Schlechtes. Die Frage ist jedoch, wie sich dies äussert, denn in der Wut neigen viele Menschen zu impulsiven, aggressiven und gar gewalttätigen Handlungen. Nicht die Emotion ist also das Problem, sondern der Kontrollverlust, der oftmals damit einhergeht. Oder einfacher gesagt: Es ist vollkommen okay, wütend zu werden, aber es ist nicht okay, dies an anderen Menschen auszulassen. Im Alltag passiert das jedoch öfter, als uns lieb ist und darum ist es wichtig, einen guten Umgang mit den heftigen Empfindungen zu finden.
Was macht Eltern wütend?
Wenn Sie wütend werden, liegt dies oft daran, dass Sie eine Situation als überfordernd erleben und darum Mühe haben, angemessen darauf zu reagieren. Verschiedene Faktoren können zu diesem Gefühl der Überforderung beitragen. Manchmal reicht schon eine einzige Sache, damit Sie die Fassung verlieren, oft spielen jedoch mehrere Faktoren eine Rolle:
Übermüdung: Bekommen Sie Nacht für Nacht zu wenig Schlaf und haben Sie auch tagsüber kaum einmal Gelegenheit für ein Nickerchen, liegen die Nerven bald blank.
Ungestillte Bedürfnisse: Dies kann im ganz Kleinen der Fall sein, wenn Sie hungrig oder durstig sind und keine Zeit für eine Pause haben. Oder aber im Grossen, wenn Sie der Familie zuliebe immer wieder zurückstecken und kaum mehr die Möglichkeit haben, eigene Interessen zu pflegen.
Stress: Der Kleine ist mitten im besten Trotzalter, die Grosse kommt zu spät zur Schule, im Job türmen sich die Aufgaben, am Vortag hatten Sie Streit mit dem Partner und dann geht auch noch die Waschmaschine kaputt - da wird manchmal einfach alles zu viel.
Kränkung des Selbstwertgefühls: An guten Tagen mögen Sie es locker wegstecken, wenn Ihr Kind Sie als "dümmsten Papa der Welt" beschimpft. An schlechten Tagen aber tut es einfach nur weh - erst recht, wenn das Kind Ihnen noch die Zunge rausstreckt und sich Momente später bei der Mama auf den Schoss kuschelt.
Hilflosigkeit: Geraten Sie in einer Situation immer wieder an Ihre Grenzen, sodass Sie sich irgendwann nicht mehr zu helfen wissen, braucht es oft nur noch den sprichwörtlichen Tropfen, um das Fass zum Überlaufen zu bringen.
Schmerzen: Bei körperlichen Beschwerden fällt es schwer, in schwierigen Situationen Ruhe zu bewahren.
Ängste: Wer sich bedroht fühlt oder von Angst geplagt wird, reagiert oft mit Wut.
Was tun, damit es nicht zum Wutausbruch kommt?
Es gibt im Familienalltag durchaus Gründe, wütend zu werden - Wutausbrüche sollten Sie jedoch soweit als möglich vermeiden. Als Eltern geben Sie Ihrem Kind ein Vorbild ab. Reagieren Sie auf seinen Tobsuchtsanfall mit einer ähnlichen Heftigkeit, lernt es daraus, dass es okay ist, sich so zu verhalten.
Um den Eklat zu vermeiden, hilft es, sich bereits im Voraus für schwierige Situationen zu wappnen. Machen Sie sich Gedanken, welche Verhaltensweisen Ihres Kindes Sie in schöner Regelmässigkeit zur Weissglut treiben. Legen Sie für solche Gegebenheiten logische Konsequenzen fest, die Sie auch durchziehen können und auf die sich Ihr Kind verlassen kann.
Mit einer guten Planung können Sie zudem stressige Momente verhindern. Gehen Sie den Tag in Gedanken durch und überlegen Sie, bei welchen Gelegenheiten es zu Spannungen kommen könnte. Planen Sie Pufferzeiten ein, damit Sie diese Situationen in Ruhe angehen können. Zuweilen sorgt auch ein Rollentausch für Entspannung der Lage. Kommt es immer und immer wieder wegen der gleichen Sache zur Eskalation, kann es besser sein, wenn der andere Elternteil diese Aufgabe für eine Weile übernimmt.
Was hilft, wenn die Gefühle trotzdem mit Ihnen durchgehen?
Trotz aller Bemühungen gibt es halt doch diese Momente, in denen es nicht gelingt, die Fassung zu bewahren. Wenn Sie spüren, wie die Wut in Ihnen hochkocht, ist es aber noch nicht zu spät, die Notbremse zu ziehen:
Manchen Menschen hilft es schon, innerlich langsam auf zehn zu zählen, um wieder ruhig zu werden.
Wer temperamentvoller ist, verspürt vielleicht eher das Bedürfnis, etwas mit voller Wucht in die Ecke zu schmeissen. Wählen Sie jedoch unbedingt einen weichen Gegenstand und nicht die leere Kaffeetasse, die noch auf dem Tisch steht - Sie möchten ja nicht, dass Ihr Nachwuchs es Ihnen schon bald gleichtut und sich dann am guten Porzellan vergreift.
Manchmal ist tief Durchatmen angesagt: Das Kind ein Hörbuch hören lassen, Tür zu und sich ein paar ruhige Momente nehmen, um wieder klar sehen zu können.
Auch ein Tapetenwechsel kann helfen. Gehen Sie zusammen raus, machen Sie einen Spaziergang oder ein Wettrennen ums Haus. Haben sich alle wieder ein wenig beruhigt, können Sie die ungute Situation von vorhin klären.
Hat Ihr Kind einen Tobsuchtsanfall, hilft es zuweilen, es einfach fest in den Arm zu nehmen und ihm die Gelegenheit zu geben, sich auszuweinen. So haben auch Sie die Möglichkeit, wieder herunterzukommen. Jetzt ist nicht der Zeitpunkt zum Diskutieren und Erziehen. Es reicht, einfach nur da zu sein und dem Kind und sich selbst die Chance zu geben, zur Ruhe zu kommen.
Und wenn Sie dennoch explodiert sind?
Nein, ein Wutausbruch ist nicht optimal, er ist aber kein Weltuntergang. Er zeigt dem Kind nämlich auch, dass selbst für Mama und Papa das Mass irgendwann voll ist. Gehen Sie jedoch nicht einfach über die Sache hinweg, sondern entschuldigen Sie sich bei Ihrem Kind. Dies ist sehr wichtig, denn Kinder neigen dazu, sich schuldig zu fühlen für Dinge, die nicht in ihrer Verantwortung liegen.
Erklären Sie ihm zudem, wie Sie anders hätten reagieren können, beispielsweise so: "Dein Verhalten hat mich so wütend gemacht, dass ich dich angeschrien habe. Das hätte ich nicht tun sollen, ich wäre besser mit dir nach draussen gegangen, um mich wieder zu beruhigen." Damit zeigen Sie ihm auf, dass es bessere Alternativen gäbe, auch wenn es Ihnen nicht immer gelingt, entsprechend zu handeln. Mit Ihrer Offenheit sind Sie für Ihr Kind nahbar und authentisch - dadurch lernt es viel mehr, als wenn Sie vorgeben, stets alles im Griff zu haben.
Falls Sie dazu neigen, in der Wut grob zu werden oder gar zu schlagen, sollten Sie unbedingt Beratung in Anspruch nehmen, beispielsweise beim Elternnotruf. Gewalt ist auch dann nicht in Ordnung, wenn das Verhalten Ihres Kindes Sie zur Weissglut treibt.