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                              Gut informiert: Diese Rechte haben berufstätige Mütter

                              Interview mit Valérie Borioli

                              Zwei Frauen arbeiten gemeinsam im Grossraumbüro
                              ©
                              iStock

                              swissmom: Seit 2005 besteht in der Schweiz eine einheitliche Mutterschaftsentschädigung. Inwiefern hat dies die Situation der Familien verbessert?

                              Valérie Borioli Sandoz: Durch die Einführung der Mutterschaftsentschädigung wurde die Gleichbehandlung der Mütter verbessert. Vorher gab es Mütter, die in den acht Wochen nach der Geburt, während derer das Gesetz ein Beschäftigungsverbot vorschreibt, nicht bezahlt waren. Der Arbeitgeber musste den Mutterschaftsurlaub selber finanzieren, was zu einer Ungleichbehandlung der Frauen führte. Frauen, die in grossen Unternehmen arbeiteten, hatten einen bezahlten Mutterschaftsurlaub, die anderen nicht. Der Anteil an Frauen, die nach der Geburt wieder in den Beruf zurückkehren, ist mit der Einführung der Mutterschaftsentschädigung gestiegen. Allerdings arbeiten viele Mütter in einem Teilzeitpensum. Welche Folgen die Einführung der Mutterschaftsentschädigung im Detail hatte, wurde 2012 in einer Wirkungsanalyse untersucht. (Die Resultate dieser Untersuchung sind hier nachzulesen.)

                              swissmom: Wer hat Anspruch auf die Mutterschaftsentschädigung?

                              Valérie Borioli Sandoz: Alle berufstätigen Frauen, auch selbständig Erwerbende. Arbeitslose Mütter und Frauen, die noch in der Ausbildung sind, haben ebenfalls Anrecht auf die Mutterschaftsentschädigung. Die Bedingung bei allen ist, dass sie während mindestens 9 Monaten vor der Schwangerschaft bei der AHV versichert waren und davon während mindestens 5 Monaten tatsächlich erwerbstätig waren. 

                              Zur Person

                              Valérie Borioli Sandoz

                              Valérie Borioli Sandoz ist Leiterin Gleichstellungspolitik bei TravailSuisse.

                              swissmom: Was passiert, wenn eine Frau bereits vor der Geburt nicht mehr in der Lage ist, zu arbeiten? Muss sie dann den Mutterschaftsurlaub bereits früher antreten und entsprechend früher wieder zur Arbeit gehen?

                              Valérie Borioli Sandoz: Eine schwangere Frau hat das Recht, zu Hause zu bleiben, wenn es ihr nicht gut geht und zwar auch ohne Angabe von Gründen. Die Kündigung muss sie deswegen nicht fürchten, denn der Kündigungsschutz gilt bis 16 Wochen nach der Geburt. Den Mutterschaftsurlaub kann man aber nicht früher antreten. Dies heisst, dass eine Frau ein Arztzeugnis vorweisen sollte, wenn sie nicht mehr arbeiten kann, damit die Tagegeldversicherung für den Lohnausfall aufkommt. Zu den ersten drei Fragen und zu vielen weiteren finden sich auf der kostenlosen Homepage infomutterschaft.ch alle rechtlichen Informationen rund um Schwangerschaft, Mutterschaft und Erwerbstätigkeit. 

                              swissmom: Viele Frauen sind unsicher, ob und wann sie den Arbeitgeber über ihre Schwangerschaft informieren müssen. Welche Regeln gelten hier?

                              Valérie Borioli Sandoz: Wenn man regulär angestellt ist, sollte man bis Ende des dritten Schwangerschaftsmonats warten. Dies nicht aus rechtlichen Gründen, sondern weil das Risiko, eine Fehlgeburt zu erleiden, im ersten Schwangerschaftsdrittel höher ist. Danach ist es im Interesse der Frau, möglichst bald zu informieren, damit sie von den Schutzbestimmungen für Schwangere profitieren kann. Nur wenn eine Frau noch in der Probezeit ist, sollte sie noch warten mit Informieren, denn in der Probezeit gilt der Kündigungsschutz noch nicht. Beim Vorstellungsgespräch hat der Arbeitgeber kein Recht, Fragen zur Familienplanung zu stellen. Tut er es doch, darf die Frau lügen. Eine Informationspflicht besteht nur, wenn die Ausübung des Berufes wegen der Schwangerschaft nicht möglich ist. 

                              swissmom: Welche Schutzbestimmungen gelten für schwangere Frauen?

                              Valérie Borioli Sandoz: Eine schwangere oder stillende Frau darf nicht diskriminiert werden. Der Arbeitgeber muss die Arbeitnehmerin über die für sie geltenden Schutzbestimmungen informieren und mit ihr besprechen, wie die Risiken vermindert werden können. Leider geschieht dies oft nicht. Die Schutzbestimmungen legen zum Beispiel fest, wie oft einer Schwangeren bei stehender Arbeit eine Pause ermöglicht werden muss oder wie viele Stunden sie pro Tag maximal arbeiten darf. In einer von uns zusammengestellten Übersicht sind diese Schutzbestimmungen aufgeführt. Es ist wichtig, nicht einfach abzuwarten, bis der Arbeitgeber die Initiative ergreift, sondern von sich aus das Gespräch zu suchen, um die Rechte für Schwangere und deren Einhaltung zu besprechen. 

                              swissmom: Wie steht es mit dem Kündigungsschutz während der Schwangerschaft und im Mutterschaftsurlaub?

                              Valérie Borioli Sandoz: Der Kündigungsschutz gilt, sobald die Frau schwanger ist, also auch, bevor sie über die Schwangerschaft informiert hat. Dieser Schutz gilt auch, wenn die Arbeitnehmerin zum Zeitpunkt der Kündigung noch gar nicht wusste, dass sie schwanger ist. 

                              swissmom: Wann ist der richtige Zeitpunkt, zu kündigen, wenn eine Frau weiss, dass sie nach der Geburt nicht mehr in den Job zurückkehren möchte?

                              Valérie Borioli Sandoz: Wenn eine Frau nicht mehr in den Job zurückkehren möchte, sollte sie ungefähr drei Wochen nach der Geburt kündigen, da die Kündigungsfrist 12 Wochen beträgt. Wir als Arbeitnehmerorganisation empfehlen aber, dass eine Frau nicht gänzlich aus dem Job aussteigt, denn es kann sehr schwierig werden, später wieder etwas Gleichwertiges zu finden. Die Berufserfahrung, die eine Frau vor der Mutterschaft gesammelt hat, zählt für viele Arbeitgeber nicht mehr, wenn sie nach einer längeren Abwesenheit wieder ins Berufsleben einsteigen möchte. 

                              swissmom: Wie sieht es mit dem Stillen aus? Welche Bestimmungen gelten für Mütter, die nach der Rückkehr in den Job weiter stillen möchten?

                              Valérie Borioli Sandoz: Die volle Zeit, die eine Frau zum Stillen braucht, muss ihr zur Verfügung gestellt werden. Die Bezahlung dieser Stillzeiten ist abhängig vom Arbeitspensum. Bis zu 4 Stunden täglicher Arbeitszeit sind es 30 Minuten, bei mehr als 4 Stunden täglicher Arbeitszeit 60 Minuten und bei mehr als 7 Stunden täglicher Arbeitszeit 90 Minuten. Es spielt dabei keine Rolle, ob die Frau sich das Baby zum Stillen an den Arbeitsort bringen lässt, oder ob sie dazu nach Hause geht. 

                              swissmom: Gibt es eine zeitliche Grenze, wie lange eine stillende Mutter Anspruch auf diese bezahlten Stillpausen hat?

                              Valérie Borioli Sandoz: Dieser Anspruch gilt ab der Geburt ein Jahr lang. 

                              swissmom: Gesetzlich ist der Mutterschutz klar geregelt. Wie steht es mit der Umsetzung? Halten sich die Arbeitgeber an die Vorgaben, oder besteht Verbesserungsbedarf?

                              Valérie Borioli Sandoz: Die Information durch den Arbeitgeber fehlt leider oft, dabei sind Sensibilisierung und Information sehr wichtig. Ich denke, dass beide Seiten dazu beitragen, dass es hier nicht optimal läuft. Oft fürchten Frauen die Reaktion des Arbeitgebers und nutzen darum die Zeit nicht, die zwischen der Ankündigung der Schwangerschaft und der Geburt liegen. Das wären immerhin rund sechs Monate, während derer man Zeit hätte, zu besprechen, wie es nach der Geburt weitergehen soll. Frauen sollten nicht einfach warten, bis der Arbeitgeber einen Vorschlag macht, sondern aktiv sein und eine echte Diskussion zwischen Partnern anregen. Manchmal kann es auch sinnvoll sein, gemeinsam mit Arbeitskollegen einen Lösungsvorschlag auszuarbeiten, denn vielleicht haben auch andere den Wunsch, ihr Arbeitspensum zu verändern. Der Arbeitgeber soll spüren, dass der Frau etwas daran gelegen ist, weiter zu arbeiten. Mit mamagenda.ch besteht ein Werkzeug, das Arbeitgeber, Mütter und Väter bei organisatorischen Fragen rund um die Schwangerschaft unterstützt. 

                              swissmom: Was kann eine (werdende) Mutter tun, wenn sie sich am Arbeitsplatz Diskriminierung ausgesetzt sieht? 

                              Valérie Borioli Sandoz: Diskriminierung kann sehr subtil sein, zum Beispiel, indem man einer Frau ein weniger anspruchsvolles Arbeitsgebiet zuweist. Wer das Gefühl hat, diskriminiert zu werden, sollte mit Arbeitskollegen sprechen, um herauszufinden, ob sie ähnliches erleben. Das Gleichstellungsgesetz regelt klar, wann Diskriminierung vorliegt und wie dagegen vorzugehen ist. Es ist jedoch sehr wichtig, dass eine betroffene Person nicht alleine dagegen vorgeht, sondern die Unterstützung einer Gewerkschaft oder einer Rechtsberatungsstelle in Anspruch nimmt. 

                              swissmom: Trotz Mutterschaftsentschädigung, bezahlter Stillzeit und Kündigungsschutz erleben es viele Eltern als schwierig, Familie und Beruf miteinander zu vereinbaren. Mit welchen Massnahmen könnte die Situation von Familien verbessert werden? 

                              Valérie Borioli Sandoz: Die oben erwähnte mamagenda.ch hilft werdenden Müttern, mit dem Arbeitgeber eine individuelle Lösung zu finden. Elternschaft betrifft aber beide Partner, darum sollte der Mann mit seinem Arbeitgeber die gleiche Diskussion führen und dies ebenfalls schon sehr früh, damit genügend Zeit bleibt, um Lösungen auszuhandeln und zu planen, wie es nach der Geburt weitergehen soll. Viele junge Paare denken, Gleichstellung passiere von selbst, aber die Aufgabenverteilung muss bewusst gewählt und besprochen werden. Die werdenden Eltern sollten schon zu Beginn der Schwangerschaft miteinander reden und aushandeln, wie sie die Aufgaben untereinander verteilen wollen. Anregungen dazu geben die Broschüren "Fairplay at Home" und "Fairplay at Work". 

                              swissmom: Warum haben es familienpolitische Anliegen wie die Einführung des Vaterschaftsurlaubs so schwer in der Schweiz? 

                              Valérie Borioli Sandoz: Es gab schon einige, leider erfolglose, Vorstösse. Die Politik hat noch nicht begriffen, dass die Wirtschaft von familienfreundlichen Arbeitsbedingungen profitieren würde. Da gibt es diese dogmatische Haltung, die Familie sei eine reine Privatangelegenheit. Viele Firmen haben bereits verstanden, wie wichtig Vereinbarkeit von Familie und Beruf für Mitarbeitende ist, doch die Politik sieht dieses Anliegen noch nicht. Es handelt sich auch um ein Generationenproblem, denn Umfragen zeigen, dass für junge Menschen die Vereinbarkeit von Freizeit und Familie mit dem Beruf sehr wichtig ist. 

                              swissmom: Gäbe es, abgesehen vom Vaterschaftsurlaub, noch andere Massnahmen, mit denen es für Väter einfacher würde, sich vermehrt in der Familie einzubringen?

                              Valérie Borioli Sandoz: Es gibt die von TravailSuisse unterstützte parlamentarische Initiative, die fordert, dass Arbeitnehmende, die Eltern werden, das Recht bekommen sollen, das Arbeitspensum nach der Geburt eines Kindes um 20 Prozent zu reduzieren. Beim Bund ist dies bereits der Fall, aber man muss ein Pensum von mindestens 60 Prozent beibehalten. Abgesehen davon ist es sehr wichtig, dass Männer bereits vor der Geburt mit der Partnerin und dem Arbeitgeber darüber zu sprechen, wie die Aufgaben nach der Geburt verteilt werden sollen. Auch Väter haben das Recht, zu Hause zu bleiben, wenn ein Kind krank ist, das muss nicht immer die Mutter tun. Ein wichtiges Thema wäre zudem die Frage, wie die Aufgaben verteilt werden, falls Angehörige zu betreuen sind. Auch hier sind es meistens die Frauen, die ihr Arbeitspensum reduzieren, um zum Beispiel kranke Eltern zu pflegen. 

                              Letzte Aktualisierung: 22.06.2019, TV / NK