Wunschzettel
Als Kind habe ich mich immer über eine Stelle in meinem Lieblingsbuch „Die Kinder aus Bullerbü“ geärgert. Nämlich dort, wo Lisa ihre Mama fragt, was sie sich denn wünsche und die Mama meint, sie wünschte sich nichts, ausser dass Lisa weiterhin ihr kleines braves Mädchen bleibe. Wie bitte? Keine Wünsche? Die Frau ist nicht recht bei Trost, dachte ich mir.
Es war aber nicht alleine Lisas Mama, die mich mit ihrer Wunschlosigkeit nervte, auch viele Mütter in meinem Umfeld fand ich schrecklich, weil sie keine Wünsche zu haben schienen. „Wenn ich nur mal wieder eine Nacht lang schlafen kann, dann bin ich schon glücklich“, seufzten sie. Oder sie meinten, solange ihre Kinder gesund, ihr Mann treu und das Haushaltsbudget ausgeglichen seien, sei alles bestens und sie bräuchten nichts mehr zu ihrem Glück. Wie kann man denn bloss so dumm und wunschlos sein, dachte ich in meiner kindlichen Gier nach Puppen, Playmobil und romantischem Schnickschnack.
Es gab aber auch die anderen Mamas. Jene, die immer das Neueste für sich haben mussten, während die Kinder leer ausgingen. Den neuesten Haarschnitt, das neuste Auto, das neuste Sofa, den neusten Mann. Und die Kinder waren todunglücklich, weil Mama sich stets nur um ihr eigenes Glück drehte. Auch nicht gerade sympathisch, fand ich.
„Was aber soll Mama sich wünschen?“, frage ich heute, wo die Wunschzettel meiner fünf entzückenden Kinder Jahr für Jahr länger werden und ich mich zuweilen frage, wo ich denn bei all den Wünschen bleibe. Was brauche ich denn, wo ich eigentlich mehr als genug habe? Fünf gesunde Kinder, ein Mann, der sich voll und ganz in die Familie einbringt, ein grosses Haus mit Garten und Bücher im Überfluss. Braucht Frau da wirklich noch mehr, um glücklich zu sein? Wäre es nicht vermessen, überhaupt noch etwas zu finden, was man auf den Wunschzettel schreiben könnte?
Auf der anderen Seite muss man sich auch eingestehen, dass das ganze Glück seinen Preis hat: Durchwachte Nächte, müde Knochen, denen man so langsam aber sicher die Abnützung durch die Schwangerschaften anmerkt, Kopfzerbrechen, weil es nicht immer ganz einfach ist, alle Rechnungen zu bezahlen, Sorgen, ob man das mit den Kindern auch tatsächlich richtig macht. Also durchaus noch Platz für den einen oder anderen kleinen Wunsch, der einem das zuweilen harte Leben ein wenig versüsst.
Und so kommt es, dass auf meinem Wunschzettel auch in diesem Jahr ein Wunsch steht: Zwei oder drei Tage, an denen mein Mann und ich das Leben unbeschwert geniessen dürfen. Einfach nur dürfen und nichts müssen; der wahre Luxus also für Eltern, die sonst Tag für Tag dem Diktat der Stundenpläne, der laufenden Nasen und der Kinder-Geburtstagspartys unterworfen sind. Ich bin mir fast sicher, dass unsere Kinder ob diesem Wunsch die Augen verdrehen und sich fragen werden, ob Mama denn nicht recht bei Sinnen ist, weil sie sich gar nichts Richtiges wünscht. Wo sie doch neulich im Katalog so sehnsüchtig dieses tolle Geschenkpaket voller Badekugeln bewundert hat.
Aber man kann ja nicht alles haben, nicht wahr?