Vom schönen Traum, eine Tragemama zu sein

Mutter und Baby unterwegs mit Tragetuch
©
GettyImages

Da sitze ich in meinem lauschigen Garten und klicke mich durch die Forumsbeiträge der Tragemamas, um mir Inspiration für einen gescheiten Artikel zum Thema Tragen zu holen. Es soll ein Artikel sein, der die Vorteile des Tragens aufzeigt, der den Mamas aber auch Mut macht, den Weg zu gehen, der für sie und ihr Kind der Beste ist. Ein Artikel über den goldenen Mittelweg, sozusagen. Ich klicke, lese, denke nach und irgendwann dämmert mir: "Mist! In Sachen Tragen habe ich so ziemlich alles falsch gemacht, was Mama falsch machen kann."

Dabei hatte ich mir das so toll vorgestellt, als ich vor vierzehn Jahren mit dem ersten Kind schwanger war. Ich würde es so oft wie möglich tragen, davon war ich überzeugt, obschon tragen damals noch nicht so selbstverständlich war wie heute. Dass man nicht einfach eine x-beliebige Tragehilfe kaufen kann, wusste ich  natürlich nicht und man konnte solche Dinge auch nicht einfach auf swissmom nachlesen, weil es swissmom damals leider noch nicht gab. Also kauften wir die Tragehilfe, die sie uns im Babyfachgeschäft empfahlen. Eine, von der die Tragemamas im Forum dringend abraten würden, aber in jenen Tagen tauschten sich Mütter halt noch nicht so eifrig in Foren aus. Und hätte man die Schwiegermama um Rat gefragt, hätte man bloss zu hören bekommen, getragene Babys gerieten später auf die schiefe Bahn,  das wisse doch jedes Kind. Nun, wie dem auch sei, die unselige Tragehilfe kam beim ersten Kind ohnehin nie zum Einsatz denn dank langwieriger Brustentzündungen war ans Tragen nicht zu denken. Warum nicht? Tja, schon mal versucht, mit höllischen Brustschmerzen ein zappelndes Baby in einem steifen Gestell vor die Brust zu schnallen? Okay, nach einigen Monaten lagen die andauernden Brustentzündungen endgültig hinter mir, doch inzwischen war das Baby mehr als halb so lang wie ich - ich bin etwas kurz geraten -, was bei der Trage, die wir hatten, ziemlich ungünstig für meinen Rücken war. 

Irgendwann kam das zweite Kind und damit neue Hoffnung auf eine erfolgreiche Tragekarriere. Aber es wurde wieder nichts. Ein Brustabszess, der trotz OP wochenlang nicht heilen wollte sowie ein brütend heisser Sommer hielten meine Tochter und mich davon ab, es miteinander zu versuchen. Gut, immerhin schnallte sich mein Mann das Baby mal eine Woche lang vorwärts vor den Bauch, um mit ihr durch London zu spazieren. Die himmelblauen Augen unserer Tochter stimmten zwar die Londoner äusserst fröhlich, die Tragemamas wären aber weniger begeistert gewesen, hätten sie meinen Mann angetroffen. Sie wissen nämlich, was wir damals noch nicht wussten: Die Haltung mit dem Gesicht nach vorne empfiehlt sich in diesem Alter noch nicht, auch wenn der Hersteller der Tragehilfe sagt, man dürfe das durchaus so machen. Und dann sind da noch die vielen optischen Reize der Grossstadt, die ein so kleines Menschlein überfordern. Nun, immerhin mit den Reizen schien unsere Tochter kein Problem zu haben, denn sie ging schon damals mit weit offenen Augen durchs Leben und konnte sich nie ganz sattsehen. Trotzdem: Es war ein Anfängerfehler, den Sie bitte nicht nachahmen sollen. Sie haben ja auch nicht die Ausrede, Sie hätten es eben nicht besser gewusst.

Bei Kind Nummer drei dachten wir nicht ans Tragen, denn da hatten wir andere Dinge im Kopf: Ein nicht enden wollender Umbau, zwei Kleinkinder und ein Baby, das nur bei Baulärm richtig gut schlief, ein Auto, das alle paar Wochen den Geist aufgab, ein Bankkonto, das unter den Lasten des Umbaus und des Autos ächzte und stöhnte... Eindeutig nicht die beste Zeit, um über die Nasenspitze hinauszudenken und das hätte man damals noch tun müssen, um sich von ganzem Herzen dem Tragen zu widmen. Ob es damals in unsrer Region überhaupt schon Kurse für tragewillige Eltern gab? Vermutlich schon, aber ich hatte schlicht keine Zeit, mich darum zu kümmern. Also fuhr unser Dritter hinten im Doppelkinderwagen, unsere Zweite - noch immer mit weit offenen Augen - auf dem Vordersitz. 

Erst beim vierten Kind war das Tragen unter Müttern und Vätern so verbreitet, dass wir zur Geburt nicht nur mit einem wunderschönen Tragetuch beschenkt wurden, sondern auch mit einer Tragehilfe, die aus irgend einem Test als Siegerin hervorgegangen war. Alles bestens also? Nicht ganz, denn unser Baby hasste das Tragetuch, was wohl damit zusammenhing, dass dieses Tuch an Papa festgemacht war, das Baby aber lieber bei Mama sein wollte. Die Testsiegerin kam besser an bei ihm, denn die hing an mir und so schnallte ich mir das Baby um, so oft es ging. Und es ging oft. Doch leider nicht allzu lange, denn bald einmal meldete sich unser Überraschungsbaby an und so musste auch unser viertes Kind irgendwann auf den Kinderwagen umsteigen. Nach meinem virtuellen Besuch bei den Tragemamas weiss ich inzwischen zwar, dass es theoretisch möglich gewesen wäre, fast während der ganzen Schwangerschaft weiterzutragen, praktisch war mein übermüdeter Körper aber bald einmal nicht mehr in der Lage, innen und aussen je einen kräftigen kleinen Jungen mit sich herumzutragen.

Erst, als der jüngere dieser beiden kräftigen kleinen Jungen von innen nach aussen geschlüpft war, konnte ich wieder tragen und das tat ich auch, als unser Kinderwagen den Geist aufgab sogar ausschliesslich, als wollte ich wett machen, was ich bei den ersten vier Kindern verpasst hatte. Ich war also endlich doch noch zu der Tragemama geworden, die ich von Anfang an hätte sein wollen. Oder zumindest beinahe. Bei meiner Lektüre im Forum musste ich nämlich leider feststellen, dass die Testsiegerin von damals heute wohl nur noch auf dem dritten oder vierten Rang landen würde. Na ja, immerhin raten die Tragemamas nicht dringend von diesem Modell ab. Gewisse Fortschritte seit dem ersten Kind sind also durchaus erkennbar... 

Letzte Aktualisierung: 04.07.2016, TV