Geburtshilfliche Anästhesie

Interview mit Prof. Dr. med. Helmut Gerber

Epidural Anästhesie
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swissmom: Obwohl die geburtshilfliche Schmerzbekämpfung mit dem Epiduralkatheter schon seit Jahrzehnten benutzt wird und eine immer grössere Popularität erfährt, wird immer wieder behauptet, dass diese Form der Schmerzbehandlung die Wehen verlangsamt und sogar manchmal deswegen ein Kaiserschnitts notwendig wird. Wie wird das heute gesehen? 

Prof.Gerber: Nach vielen Studien kann heute mit grosser Sicherheit festgestellt werden, dass die Epiduralanalgesie bei der Geburt nicht zu einer Zunahme der Kaiserschnittrate führt. Bei der spontanen Geburt kann die Austreibungsphase etwas verlängert sein, man spricht statistisch von 15 Minuten. Dieses ist abhängig von den jeweiligen Medikamenten, die in den Epiduralkatheter gegeben wurden. Sowohl für das Baby als auch für die Mutter hat die Epiduralanalgesie Vorteile: Dem Baby geht es besser, weil die Schmerzen vermieden werden, die sonst zu einer Minderdurchblutung der Gebärmutter führen. Auch die dämpfende Wirkung der konventionellen Schmerzmittel wie Opiate wird vermieden; die Gebärende hat weniger schmerzbedingte Belastungen des Kreislaufs und des Stoffwechsels und kann mit klarem Kopf das Geburtserlebnis geniessen. 

Zur Person

Prof Gerber 01

Prof. Dr. med. Helmut Gerber war Chefarzt des Instituts für Anästhesie und Reanimation am Kantonsspital Luzern.

swissmom: Bei Narkosen gilt ja immer ein Nüchternheitsgebot. Darf ich während einer Epiduralanalgesie für die Geburt etwas trinken oder auch etwas leichtes essen?  

Prof. Gerber: Gegen Ende der Schwangerschaft wird das Aufstossen von Magensaft (Magenbrennen) häufiger. Es wird bei genauer Messung in ca. 80% der Schwangeren am Termin beobachtet . Ein Grund dafür ist der Druck der Gebärmutter auf den Magen. Zusätzlich ist die Magenentleerung unter der Geburt verzögert, eine Wirkung, die durch den Geburtsschmerz noch verstärkt wird. Andererseits sind die Kalorienbedürfnisse am Termin stark erhöht und können, falls sie nicht befriedigt werden, zu Stoffwechselveränderungen führen. Deshalb wäre eine Nahrungszufuhr bzw. Kalorienzufuhr auch während der Geburt sinnvoll. Wird jedoch wegen einer plötzlichen Verschlechterung des kindlichen Zustandes ein Kaiserschnitt unter Vollnarkose notwendig, stellt ein „voller Magen“ ein Risiko dar. Ein von den meisten Spitälern akzeptierter Kompromiss ist die Verabreichung von Wasser oder Eisstückchen, eventuell kombiniert mit isotonischen Kaloriendrinks, wie sie im Sportbereich benutzt werden.   

swissmom: Es wurde von verschiedener Seite spekuliert, dass durch die Epiduralanalgesie das Stillen schwieriger und durch die Muttermilch die Anästhesiemedikamente auf das Baby übertragen würden. Was ist daran wahr?  

Prof. Gerber: In zwei neuen Studien mit zusammen über 2300 Patienten wurde untersucht, wie und ob die während der Geburt gegebenen Medikamente den Erfolg des Stillens beeinflussen. Gleichgültig ob Schmerzmittel über den Epiduralkatheter gegeben, ob sie intravenös gespritzt oder ob keine Schmerzmittel unter der Geburt verabreicht wurden, haben 97-98% der Frauen ihre Kinder ohne Probleme gestillt. Besonders bei Verabreichung über den Epiduralkatheter ist die Effektivität der Medikamente so gross und die verabreichte Dosis so gering, dass kein direkter oder indirekter Einfluss über die Muttermilch auf das Baby zu erwarten ist.    

swissmom: Kann ich trotzdem eine Epiduralanalgesie erhalten, auch wenn ich immer mal wieder mit meinem Rücken Probleme habe?  

Prof.Gerber: Rückenschmerzen sind ein häufiges Symptom während der Schwangerschaft ( in 49 % ab der 12. Schwangerschaftswoche) und in den ersten Wochen nach der Entbindung. Ein bestehendes Hohlkreuz (Hyperlordose) und eine lange Austreibungsphase können die Rückenschmerzen verstärken. Wenn die werdende Mutter bereits vor der Schwangerschaft Rückenschmerzen hatte, wenn sie noch sehr jung ist oder schon frühere Schwangerschaften durchgemacht hat, dann ist das Risiko erhöht, auch nach der Geburt von Rückenschmerzen geplagt zu werden, ganz unabhängig von einer Epiduralanalgesie. In einer prospektiven Untersuchung war die Häufigkeit von Rückenschmerzen 1-2 Monate nach der Geburt mit ca. 45 % genau gleich bei Müttern mit oder ohne Epiduralanalgesie. Direkt nach der Geburt unter Epiduralanästhesie können kurzzeitig Rückenschmerzen an der Einstichstelle auftreten, die aber schnell verschwinden und lokal mit entzündungshemmenden Cremes (Diclofenac, DMSO etc) effektiv behandelt werden können. Aus neueren, gut kontrollierten Daten kann geschlossen werden, dass durch die Epiduralanalgesie keine chronischen Rückenschmerzen ausgelöst werden.  

swissmom: Viele Frauen versuchen, nach einem oder zwei Kaiserschnitten vaginal zu entbinden. Ist eine PDA dann empfehlenswert oder gerade nicht?

Prof.Gerber: Früher wurden für die PDA höhere Konzentrationen der Lokananästhetika benutzt. Diese bewirkten eine relativ intensive Nervenblockade und lähmten das Schmerzempfinden und zum Teil auch die Bewegungsmöglichkeit. Dadurch wurden auch plötzlich auftretende Schmerzen, wie sie z.B. durch einen Riss der Gebärmutter entstehen, unterdrückt. Heute werden sehr viel dünnere Lösungen benutzt, die den Pressreflex und die Kraft fast ganz erhalten, es andererseits aber auch ermöglichen, jeden zusätzlichen Schmerz zu erkennen. Jedoch ist es nicht immer der Schmerz, der auf einen Gebärmutterriss hinweist. Schwankungen der Herzfrequenz des Babys, eine starke Abnahme und schliesslich der Verlust der Herztöne sowie fehlende Gebärmutterkontraktionen sind ebenfalls Zeichen dieser Komplikation. Deshalb ist bei einer vaginalen Geburt, der ein Kaiserschnitt vorausgegangen ist, eine intensive und lückenlose Überwachung der kindlichen Herztöne und auch der Wehentätigkeit oberstes Gebot, um schnell einschreiten zu können und den Gebärmutterriss operativ zu versorgen. Dazu ist meist wegen der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit eine Vollnarkose notwendig. Da heute die Anzahl vaginaler Geburten nach vorherigem Kaiserschnitt zugenommen hat, ist auch die Häufigkeit des Gebärmutterrisses von 1% auf 3 % gestiegen.   

swissmom: Welche schmerzlindernde Methoden kommen bei einer Wassergeburt für mich in Frage?  

Prof.Gerber: Das warme Wasser hilft der Entspannung und hat dadurch schon einen gewissen schmerzlindernden Effekt. Trotzdem kann auch bei der Wassergeburt eine PDA durchgeführt werden. Dabei wird der Katheter vorher eingelegt und eine Testdosis gegeben, bevor Sie ins Wasser gehen; die Injektionsstelle und der Katheter müssen zur Verhinderung einer Infektion mit einer breiten wasserdichten Folie abgeklebt werden. Man wird die Dosierung sehr vorsichtig gestalten, um Kreislaufveränderungen und Muskelschwäche sehr gering zu halten. Die Überwachung erfolgt mit der Blutdruckmessung und der Sauerstoffgehaltsmessung mittels Ohrclip. 

(Ergänzung zur letzten Frage: Die Antwort auf die letzte Frage über die Wassergeburt und die Möglichkeit der Periduralanästhesie hat unterschiedliche Reaktionen ausgelöst, auf die ich gerne eingehen möchte: Der Aufenthalt in der Badewanne hat unter anderem den Zweck, das Gewebe zu entspannen und dadurch die Wehenschmerzen zu vermindern. Andererseits ist die PDA ein sehr wirksames Mittel gegen die Geburtsschmerzen, so dass der gleichzeitige Gebrauch beider Methoden primär wenig Sinn macht. Sollte die Gebärende in bestimmten Fällen , z.B. bei einer ungenügenden Gewebeentspannung unter der PDA dennoch wünschen, eine bestimmte Zeit in der Wanne zu verbringen, so ist dieses sicher möglich. Durch eine Verringerung der Lokalanästhesiedosis bei eventuell gleichzeitiger Erhöhung der Opiatgabe wird die Beweglichkeit der werdenden Mutter gewährleistet. Sie kann somit aus eigener Kraft die Wanne verlassen, sollte dies nötig sein. Dieser Fall könnte z.B. dann eintreten, wenn die Schmerzlinderung durch die PDA verstärkt werden muss. Die Einlagestelle des Katheters muss sorgfältig durch wasserfeste Folie abgeklebt werden. Dennoch kann die Gefahr einer Ablösung bei einem langen Aufenthalt in der Wanne nicht ausgeschlossen werden. Eine gute vorherige Planung ist nötig, wenn PDA und Wanne kombiniert werden sollen. Eventuell ist der Aufenthalt in der Wanne zeitlich zu limitieren. Damit liessen sich die Vorteile beider Methoden realisieren.)

Letzte Aktualisierung: 11.03.2020, AG

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