Gewalt in der Familie

Was unterscheidet häusliche Gewalt von anderen Tätlichkeiten? Und wo finden Betroffene Hilfe und Schutz?

Zerbrochener Teller auf rotem Hintergrund
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Das eigene Zuhause sollte ein Ort der Sicherheit und Geborgenheit sein. Für Menschen, die häusliche Gewalt erleben, sind die eigenen vier Wände jedoch alles andere als sicher. Hilfe, um aus dieser Situation herauszukommen, ist enorm wichtig - insbesondere, wenn Kinder mitbetroffen sind. 

Was versteht man unter häuslicher Gewalt?


Gewalttätigkeiten innerhalb der Familie oder des Haushalts können ganz unterschiedliche Formen annehmen. Bei häuslicher Gewalt spielen die folgenden Merkmale aber fast immer eine Rolle:

  • Zwischen der gewaltausübenden Person und dem Opfer besteht eine emotionale und oft auch eine intime Beziehung.

  • Zwischen Täter und Opfer gibt es ein Machtgefälle. Dabei muss es sich nicht immer um eine körperliche Überlegenheit handeln. Eine Person kann beispielsweise auch über psychischen Druck, strenge Kontrolle der Sozialkontakte oder finanzielle Abhängigkeit Macht ausüben. 

  • Die Gewalthandlungen finden meistens im eigenen Zuhause statt. Dies muss jedoch nicht bedeuten, dass Täter und Opfer am gleichen Ort wohnen. In Trennungssituationen dauert die Gewalt oft an, wenn das Paar schon längst nicht mehr zusammen wohnt. In manchen Fällen setzen die Gewalthandlungen auch erst nach der Trennung ein.

  • Häusliche Gewalt ist gekennzeichnet durch eine besondere Dynamik, die sogenannte "Gewaltspirale". Zwischen Opfer und Täter baut sich ein Konflikt auf, der schliesslich in Gewalt gipfelt. Nach der Gewalttat zeigt die gewaltausübende Person zunächst Reue, verspricht, so etwas nie wieder zu tun und es kommt zur Versöhnung. Der Täter übernimmt jedoch keine Verantwortung für die Tat, sondern gelangt zur Überzeugung, das Opfer (oder die äusseren Umstände) hätten ihn provoziert. Das Opfer wird somit für den Gewaltausbruch verantwortlich gemacht; es soll durch sein Verhalten verhindern, dass der Täter wieder die Kontrolle über sich verliert. Bei einem nächsten Konflikt wird er sich durch einen beliebigen "Fehler" des Opfers erneut zur Gewalt provoziert sehen. Mit der Zeit werden die Abstände zwischen den Ausbrüchen immer kürzer und die Gewalt nimmt an Intensität zu. Diese Spirale kann nur durchbrochen werden, wenn die gewaltausübende Person lernt, die Verantwortung für ihr Handeln zu übernehmen und Hilfe in Anspruch nimmt.

Statistiken zeigen, dass Frauen mit Abstand am häufigsten Opfer von häuslicher Gewalt werden. Kinder, die in einem von Gewalttätigkeit geprägten Elternhaus aufwachsen, sind ebenfalls stark betroffen. Einerseits, weil das, was sie miterleben, sich negativ auf ihre Entwicklung auswirkt. Andererseits, weil sie oft auch selber körperlich oder psychisch misshandelt werden. 

Trotz dieser Tatsachen darf nicht vergessen gehen: Männer können ebenfalls Opfer von häuslicher Gewalt werden. Häusliche Gewalt ist auch nicht an ein bestimmtes Alter gebunden. Seniorinnen, die in der Familie gepflegt werden können ebenso betroffen sein wie Jugendliche in einer Paarbeziehung oder Eltern, die Misshandlungen durch ihre halbwüchsigen Kinder erleben. Zudem gibt es in allen sozialen Schichten Familienbeziehungen, die durch Gewalt geprägt sind. 

Welche Formen von häuslicher Gewalt gibt es? 


Wenn von häuslicher Gewalt die Rede ist, denken viele zuerst an eine körperlich dominante Person, die eine schwächere Person mit Faustschlägen und Fusstritten traktiert. Doch Gewalt zeigt sich in ganz unterschiedlichen Formen, die nicht alle gleich leicht zu erkennen sind - auch für die direkt davon Betroffenen nicht.

Körperliche Gewalt

Diese Form ist sicher am einfachsten zu erkennen, denn sie zeigt sich in Handlungen, die wir ganz klar als gewalttätig wahrnehmen: Schläge, Ohrfeigen, Tritte, Stossen, Würgen, Gegenstände nachwerfen, Beissen, Kratzen, Zufügen von Verletzungen, Fesseln etc. Im schlimmsten Fall endet körperliche Gewalt in einem Tötungsdelikt. 

Sexuelle Gewalt

Zur sexuellen Gewalt zählen alle Arten von erzwungenen sexuellen Handlungen sowie grenzverletzendes Verhalten mit sexuellem Bezug - also nicht alleine sexueller Missbrauch, sexuelle Nötigung und Vergewaltigung. Auch sexuelle Belästigung, unerwünschte Berührungen und Küsse, das erzwungene Anschauen von pornografischen Bildern oder Filmen, das Drängen zu unerwünschtem Geschlechtsverkehr etc. zählen zu den Sexualdelikten. Sexuelle Belästigung wird jedoch nur dann strafrechtlich verfolgt, wenn das Opfer die Straftat anzeigt.

Psychische Gewalt

Psychische Gewalt verursacht viel Leid, ist aber oft schwierig nachzuweisen, da sie sehr subtil sein kann und keine sichtbaren Spuren hinterlässt. Sie äussert sich in stetigen Demütigungen, Abwertung, Einschüchterung, Drohungen oder dem Erzeugen von Schuldgefühlen. Auch ausgeprägte Eifersucht, psychischer Terror oder das Quälen eines Haustiers zählen zur psychischen Gewalt.

Stalking wird oft ebenfalls zu den psychischen Gewaltformen gezählt. Als "Stalking" bezeichnet man das wiederholte Beobachten, Verfolgen und Belästigen einer Person. Dabei handelt es sich um ein sehr facettenreiches Phänomen, das sich in ganz unterschiedlichen Handlungen zeigen kann: Ständige unerwünschte Anrufe, zahllose Sprachnachrichten, Auflauern beim Verlassen des Hauses, Erstellen von Fake-Profilen des Opfers auf Social Media, unerwünschte Geschenke, das Ausfragen von Kontaktangaben bei Familie und Freunden, Eindringen in das Zuhause des Opfers etc. Während in einem Fall die Handlungen vor allem der psychischen Gewalt zugeordnet werden können, wird in einem anderen Fall auch körperliche Gewalt eingesetzt. Die einzelnen Taten mögen für sich alleine einfach als lästig und mühsam erscheinen - in ihrer Gesamtheit sind sie für Betroffene jedoch äusserst bedrohlich und einschränkend. Mit der Zeit fühlt sich das Opfer nirgendwo mehr sicher und wird in der freien Lebensgestaltung zunehmend beschnitten. 

Soziale Gewalt

Hierbei wird das Opfer darin eingeschränkt, wie es sein Sozialleben gestaltet. Kontakte mit aussenstehenden Personen werden kontrolliert oder gar verboten; zuweilen wird auch die ganze Familie in die soziale Isolation gedrängt, um Aussenkontakte zu verhindern. 

Wirtschaftliche Gewalt

Hierbei wird das Opfer in seiner wirtschaftlichen Freiheit beschnitten, beispielsweise, indem es zur Arbeit gezwungen wird oder indem ihm das Ausüben einer beruflichen Tätigkeit verboten wird. Auch wenn eine Person die andere dazu zwingt, den Lohn abzugeben, die finanziellen Mittel stark einschränkt oder bis ins Detail kontrolliert, wofür das Geld ausgegeben wird, handelt es sich um wirtschaftliche Gewalt. 

Normaler Streit oder häusliche Gewalt?


Streit kommt in den besten Familien vor - und je nach Temperament der Beteiligten kann so ein Konflikt auch mal recht laut und heftig sein. Doch selbst wenn bei einem Streit alle Sicherungen durchbrennen und die Akteure handgreiflich werden, muss es sich dabei nicht unbedingt um häusliche Gewalt handeln. Bei einem "gewöhnlichen" Streit findet der Konflikt auf Augenhöhe statt,  selbst dann, wenn es einmal rau zugeht.

Häusliche Gewalt hingegen ist durch das oben erwähnte Machtgefälle und die sich immer weiter drehende Gewaltspirale gekennzeichnet. Das Opfer erlebt die Tätlichkeiten als beängstigend und bedrohlich und sieht sich nicht in der Lage, sich zu wehren und der Gewalt Einhalt zu gebieten. 

Dies bedeutet jedoch keineswegs, dass Gewalt in Ordnung ist, sofern die Streitparteien sich ebenbürtig sind. Auch eine einmalige spontane Gewalthandlung kann schlimme Folgen haben. Zudem sind solche wiederholten heftigen Streitigkeiten für Kinder, die sie miterleben müssen, sehr belastend. Eine gute Streitkultur zu entwickeln und zu lernen, Konflikte auf eine faire Weise zu lösen, ist deshalb enorm wichtig. 

Häusliche Gewalt und Kinder


Es gibt zwei Arten, wie Kinder häuslicher Gewalt ausgesetzt sein können: Einerseits, indem sie selber körperlich oder psychisch misshandelt werden, sexuellen Missbrauch erleben oder körperlich und emotional vernachlässigt werden. Andererseits, indem sie miterleben müssen, wie anderen in der Familie Gewalt angetan wird.

Kinder sind also auch Opfer von häuslicher Gewalt, wenn sie gewalttätige Handlungen direkt oder aus dem Nebenraum mitbekommen. Wenn sie in die Situation mit hineingezogen werden, z. B. indem sie versuchen, das Opfer zu schützen oder den Täter zu stoppen. Wenn sie miterleben müssen, wie die Polizei einschreitet oder dazu gezwungen sind, sich gemeinsam mit dem Opfer in Sicherheit zu bringen. Wenn sie nach einer Trennung zum Spielball der unterschiedlichen Interessen von Mutter und Vater werden und immer wieder miterleben müssen, wie es bei der Übergabe am Besuchswochenende zu spannungsgeladenen Situationen kommt. 

All dies stellt eine hohe psychische Belastung dar. Diese zeigt sich je nach Alter eines Kindes auf unterschiedliche Weise, beispielsweise in Verhaltensauffälligkeiten, aggressivem Auftreten, Rückzug oder Ängstlichkeit. Auch auf die körperliche Gesundheit und die schulischen Leistungen können sich diese Erfahrungen auswirken. Bei Kindern, die häusliche Gewalt (mit)erleben, besteht ausserdem ein erhöhtes Risiko, dass sie als Erwachsene selber Täter oder Opfer werden. 

Was sind die Folgen von häuslicher Gewalt?


Die Folgen von erlebter Gewalt sind einschneidend. Unmittelbar können dies körperliche Verletzungen sein, aber auch psychische Folgeprobleme wie Schlafstörungen, Ängste oder Konzentrationsschwierigkeiten. Die Gesundheit kann durch Gewalterfahrungen auch langfristig beeinträchtigt sein: Depressionen, Angststörungen, posttraumatische Belastungsstörungen, psychosomatische Beschwerden etc. können noch Jahre später auftreten. Viele Betroffene haben zudem ein erhöhtes Risiko für gesundheitsschädigenden Suchtmittelkonsum und Medikamentenmissbrauch.

Auch die sozialen Auswirkungen sind beträchtlich. Dies nicht nur, wenn der Täter die Sozialkontakte des Opfers einschränkt. Durch Trennung, Umzug, Wechsel der Arbeitsstelle, Schulwechsel etc. geht das soziale Netz verloren und muss wieder neu aufgebaut werden. Sowohl diese einschneidenden Veränderungen im Familienleben als auch die gesundheitlichen Probleme können sich negativ auf das Einkommen auswirken. Wenn das Geld knapp ist, wird es erst recht schwierig, sich am Sozialleben zu beteiligen. Dadurch können betroffene Familien in die soziale Isolation geraten. 

Wo bekommen Betroffene Hilfe?


Gewalt ist für viele Menschen ein Tabuthema - erst recht, wenn diese Gewalt von jemandem ausgeht, der einem nahe steht. Oft droht die gewalttätige Person mit schlimmen Konsequenzen, um das Opfer daran zu hindern, Hilfe zu suchen. Leider finden Betroffene in ihrem persönlichen Umfeld auch nicht immer das Verständnis und die Unterstützung, die sie nötig hätten. All dies macht es schwierig, das Thema mit einer Vertrauensperson anzusprechen.

Oft ist es einfacher, sich an eine Opferhilfe-Beratungsstelle zu wenden. Dort können gewaltbetroffene Personen ihre Situation schildern und sich beraten lassen, wie es weitergehen soll. Die Fachleute können zudem Angebote für juristische Unterstützung, psychologische Betreuung und finanzielle Hilfe vermitteln. Falls nötig helfen sie Betroffenen auch, einen sicheren Ort für sich und die Kinder zu finden. 

Im Falle einer akuten Bedrohung oder Gewaltsituation ist es wichtig, die Polizei zu verständigen (Notruf 117). Diese kann nicht nur einschreiten, sondern auch sofort wirksame Schutzmassnahmen in die Wege leiten. 

Die Schweizer Kriminalprävention rät zudem, persönlich wichtige Dinge wie Reisepass, Identitätskarte, den Zugang zum Bankkonto, die Aufenthaltsbewilligung etc. an einem sicheren Ort aufzubewahren. Für den Fall, dass es nötig werden sollte, die Wohnung zu verlassen, sollte eine Tasche mit den allerwichtigsten Sachen gepackt sein. 

Was können nahestehende Personen tun? 


Einschreiten oder nicht? - Diese Frage beschäftigt viele, die den Verdacht haben, jemand könnte von häuslicher Gewalt betroffen sein. In einer akuten Bedrohungssituation sollten Nachbarn, Freunde und Verwandte auf keinen Fall untätig bleiben. Allerdings kann es gefährlich sein, sich einzumischen und den Täter aufhalten zu wollen. Besser ist es, umgehend die Polizei zu alarmieren.

Doch auch wenn die Bedrohung nicht unmittelbar ist, sollten nahestehende Personen nicht einfach wegschauen und hoffen, dass an dem Verdacht schon nichts dran sein wird. Es ist wichtig, das Thema anzusprechen, wenn sich die Gelegenheit dazu bietet. Oft braucht es viel Geduld und Verständnis, eine gewaltbetroffene Person zu begleiten, denn im ersten Moment ist sie vielleicht noch nicht bereit, sich zu öffnen. Den Mut zu fassen, aus der oben beschriebenen Gewaltspirale auszubrechen, ist nicht einfach - zumal ja auf jede Eskalation das Versprechen folgt, von nun an werde sich alles bessern. Fürs Erste können nahestehende Personen oft nicht mehr tun, als ein offenes Ohr zu haben, Adressen für Beratungsstellen weiterzugeben und einen sicheren Zufluchtsort anzubieten, für den Fall, dass die Situation wieder eskaliert. 

Besteht der Verdacht, dass ein Kind von häuslicher Gewalt betroffen sein könnte, sind der Elternnotruf sowie die Kinderschutzgruppen diverser Spitäler die ersten Anlaufstellen. Diese beraten nicht nur Fachleute, sondern auch Privatpersonen, die sich um das Wohl eines Kindes sorgen. 

Was tun, wenn Sie selber zu Gewalthandlungen neigen?


Es ist sehr schwierig und schmerzhaft, sich selber einzugestehen, dass man dazu neigt, Gewalt auszuüben. Doch dieses Eingeständnis ist zentral, wenn die Gewalt ein Ende finden soll. In der ganzen Schweiz existieren Fachstellen für Gewaltberatung, welche Beratung, Lernprogramme und teilweise auch Therapien für gewaltausübende Personen anbieten. Die Teilnahme an solchen Programmen wird oftmals gerichtlich angeordnet. An vielen Orten besteht jedoch auch die Möglichkeit, freiwillig von den Angeboten Gebrauch zu machen, um zu lernen, das gewalttätige Verhalten zu ändern. 

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