Trennungsschmerz - was tun?
Ob Kita oder Kindergarten: Manche Kinder können sich nicht leicht von den Eltern lösen. Wie Sie Ihrem Kind den Abschiedsschmerz erleichtern können...
Die meisten Eltern kennen diese Situation, ob das Kind nun in der Kita betreut wird, einen regelmässigen Hüetitag bei den Grosseltern hat oder zweimal pro Woche die Spielgruppe besucht: Beim Abschied fliessen die Tränen, das Kind klammert sich verzweifelt an die Mama oder den Papa und möchte am liebsten wieder mit nach Hause kommen. Woran liegt das? Und wie gelingt es, diese herzzerreissenden Szenen immer besser über die Bühne zu bringen?
Warum weint und klammert das Kind beim Abschied?
Im Laufe ihrer Entwicklung lernen Kinder unglaublich viel Neues. Das ist einerseits spannend, andererseits aber auch verunsichernd - denn wer weiss schon, was da alles auf einen zukommt? Entwicklungsschritte sind daher oft von alterstypischen Ängsten begleitet. So beginnen beispielsweise viele Babys im Alter von 6 bis 9 Monaten zu fremdeln, also etwa genau dann, wenn sie anfangen zu krabbeln und ihr Umfeld vermehrt auf eigene Faust erkunden.
Bei den meisten einjährigen Kindern ist die Furcht vor fremden Gesichtern verschwunden, dafür macht sich jetzt beim Abschied vermehrt der Trennungsschmerz bemerkbar. Das Kind versteht noch nicht, warum es von Mama und Papa getrennt sein muss, es kann nicht einschätzen, wie lange es bei der Tagesmutter oder in der Kita bleiben wird und es weiss noch nicht, dass die Eltern es ganz bestimmt wieder abholen werden. Dass es sich gegen die Trennung wehrt, ist daher absolut verständlich. Nachdem es mehrmals erlebt hat, wie es von den Betreuungspersonen liebevoll getröstet wird und wie sich Mama und Papa beim Abholen über das Wiedersehen freuen, legt sich die Angst wieder und das Abschiednehmen fällt bald leichter.
Es kann aber auch später wieder Situationen geben, in denen das Kind vom Trennungsschmerz erfasst wird, beispielsweise wenn es von der Spielgruppe in den Kindergarten wechselt und noch nicht so recht weiss, wie es sich in diesem neuen Umfeld zurechtfinden wird. Solche "Rückfälle" sind für Sie als Eltern zwar herausfordernd, ein Grund zur Beunruhigung besteht jedoch nicht. Im Gegenteil, das mulmige Gefühl der Angst mahnt das Kind, erst mal vorsichtig zu sein. Hat es erkannt, dass keine Gefahr besteht, verschwindet auch die Angst wieder.
Wie Eltern den Trennungsschmerz verstärken
Loslassen fällt nicht nur dem Kind schwer, sondern oftmals auch den Eltern. Dies kann ganz unterschiedliche Gründe haben. Vielleicht haben Sie das Gefühl, Sie würden wichtige Entwicklungsschritte Ihres Kindes verpassen. Vielleicht sind Sie auch unsicher, ob Sie sich für die richtige Betreuungseinrichtung entschieden haben. Oder Sie machen sich ein Gewissen, weil Sie grad viel mehr arbeiten müssen, als ursprünglich geplant gewesen wäre.
Wichtig ist, dass Sie sich Ihrer Empfindungen bewusst werden und einen guten Umgang damit finden. Sieht Ihr Kind nämlich beim Abschied Tränen in Ihren Augen oder spürt es, wie ungern Sie es ziehen lassen, bekommt es das Gefühl, es sei etwas nicht in Ordnung und es bestehe tatsächlich ein Grund, Angst zu haben. Dadurch wird der Abschied für Sie beide noch schwerer.
Eingewöhnung: Aufwändig aber wichtig
Ihr Kind braucht Zeit, um die Betreuungspersonen, die anderen Kinder und die Räumlichkeiten kennenzulernen. Damit es dies tun kann, braucht es eine Eingewöhnungszeit. Bei einem neunmonatigen Baby, das neu in die Kita kommt oder von einer Tagesfamilie betreut wird, zieht sich diese meist über zwei bis drei Wochen. Dies ist zwar recht zeitaufwändig, lohnt sich aber auf jeden Fall, denn eine sorgfältige Eingewöhung hilft dem Kind, sich sicher und gut aufgehoben zu fühlen.
Bei den ersten Besuchen bleibt das Kind in Ihrer Nähe und beobachtet das Geschehen. Ist es mit der Umgebung etwas vertrauter geworden, bleiben Sie im Raum, halten sich jedoch so weit als möglich im Hintergrund. Nachdem das Kind eine gewisse Sicherheit erlangt hat, verlassen Sie den Raum für wenige Minuten, beispielsweise um aufs WC zu gehen. In einem nächsten Schritt bleibt Ihr Kind eine kurze Zeit in der Obhut der Betreuungsperson, während Sie eine Besorgung erledigen. Schliesslich verbringt es einen oder mehrere Halbtage in der Betreuungseinrichtung. Sie bleiben derzeit auf Abruf, damit Sie es abholen können, falls ihm die Trennung noch allzu schwerfällt.
Auch Spielgruppen- und Kindergartenkinder brauchen Zeit, um sich an die neue Umgebung zu gewöhnen. In diesem Alter waren jedoch die meisten Kinder schon mal ohne Eltern bei den Grosseltern oder wurden von einem Babysitter betreut. Zudem hatten sie beim Schnuppermorgen bereits die Gelegenheit, sich alles einmal anzuschauen. Daher gestaltet sich die Eingewöhnung einfacher. In der Spielgruppe ist es hilfreich, wenn Sie in den ersten Wochen jeweils im Hintergrund dabei bleiben - zu Beginn vielleicht während des ganzen Vormittags, schon bald aber nur noch einige Minuten, bis ihr Kind richtig im Geschehen angekommen ist. Im Kindergarten reicht es meist, wenn Sie es schrittweise weniger weit begleiten, bis es sich sicher genug fühlt, um mit seinen "Gspänli" zu gehen.
Ist Ihr Kind gut eingewöhnt, kommt es ohne Ihre Anwesenheit klar. Bleiben Sie daher nicht länger als nötig. Falls die Betreuenden Sie bitten zu gehen, sollten Sie diesen Wunsch berücksichtigen. Es kann ziemlich viel Unruhe in den Ablauf bringen, wenn Eltern am Rande mit dabei sind - insbesondere wenn sie sich lebhaft miteinander unterhalten, während die Kinder eine Geschichte hören möchten.
Wie Sie Ihrem Kind das Abschiednehmen erleichtern
Wenn das Kind schon auf dem Weg zur Spielgruppe laut weint oder sich im Eingangsbereich der Kita verzweifelt an Sie klammert, möchten Sie die Übung am liebsten abbrechen. Sie tun ihm damit jedoch keinen Gefallen, denn Sie würden es in seinem Gefühl bestärken, nur in Ihrer Nähe sei es in Sicherheit. Damit Ihr Kind Schritt für Schritt selbständiger durchs Leben gehen kann, muss es lernen, seine Angst zu überwinden. Dies gelingt ihm am besten mit liebevoller und geduldiger Unterstützung:
Planen Sie morgens genügend Zeit ein, damit das Bringen ohne Hektik verläuft. Sind Sie gestresst, fällt es erst recht schwer, zugleich gelassen und liebevoll auf das Weinen Ihres Kindes zu reagieren.
Der Abschied verläuft ruhiger, wenn in der Garderobe nicht allzu viel Betrieb herrscht. Kommen Sie nach Möglichkeit dann an, wenn noch nicht alle da sind oder wenn der grösste Ansturm schon durch ist. Bringen Sie Ihr Kind jedoch nicht erst, nachdem das Programm begonnen hat. Dadurch könnte es sich blossgestellt fühlen und Mühe haben, in der Gruppe Anschluss zu finden.
Ein kurzes, stets gleich gestaltetes Abschiedsritual gibt Ihrem Kind Sicherheit. Ein Kuscheltier oder ein Nuscheli, das nach "zu Hause" riecht, begleitet es durch den Tag.
Weint Ihr Kind nach dem Abschiedsritual weiter, überlassen Sie das Trösten der Betreuungsperson. Die Erfahrung, dass sich auch das Kitapersonal oder die Tagesmutter liebevoll kümmern, hilft ihm, Vertrauen zu gewinnen.
Sagen Sie, dass Sie gehen werden - und tun Sie es dann auch. Ihr Kind empfindet es als sehr verwirrend, wenn Sie Ihr Gehen ankündigen und Augenblicke später wieder zurückkommen, um es zu trösten.
Was Sie auf gar keinen Fall tun sollten: Unangekündigt abschleichen, wenn Ihr Kind gerade abgelenkt ist. Es wird Ihre Abwesenheit bald bemerken und sich dann erst recht im Stich gelassen fühlen.
Sagen Sie Ihrem Kind, wohin Sie gehen und wann Sie zurück sein werden. Ist es noch sehr klein, hilft ihm eine Angabe wie "In fünf Stunden bin ich wieder da" natürlich nicht weiter. Sagen Sie aber beispielsweise "Nach dem Zvieri hole ich dich ab", hat es einen guten Anhaltspunkt, wann es mit Ihrer Rückkehr rechnen kann.
Auf diese Zeitangabe sollte Ihr Kind sich dann auch verlassen können - setzen Sie daher in den ersten Wochen alles daran, beim Abholen pünktlich zu sein. Ist Ihr Kind erst einmal gut eingewöhnt, kommt es besser damit klar, mal etwas länger zu warten. Grosse Verspätungen, die dazu führen, dass es noch warten muss, wenn alle anderen bereits abgeholt wurden, können es aber auch später noch stark verunsichern und zu einem erneuten Aufflackern des Trennungsschmerzes führen.
Bleiben Sie in der Spielgruppe oder im Kindergarten noch eine Weile da, ist Zurückhaltung gefragt. Halten Sie sich wirklich im Hintergrund, ob Ihr Kind nun weint oder sich mit einem anderen um den Spielzeugbagger streitet. Für seine Anliegen ist jetzt die Spielgruppenleiterin zuständig und dies kann es nicht lernen, wenn Sie bei Unstimmigkeiten sogleich zur Stelle sind.
Und wenn das Kind trotzdem noch weint?
Das Ziel ist nicht, das Weinen Ihres Kindes zu verhindern. Es ist nun mal traurig und dieser Traurigkeit darf es auch Ausdruck verleihen. Damit signalisiert es seinem Umfeld, dass es überfordert ist und deshalb Trost und Begleitung braucht. Das Weinen hält in der Regel nicht lange an, die meisten Kinder beruhigen sich schon bald, nachdem die Eltern gegangen sind. Nach wenigen Wochen klappt der Abschied dann ganz ohne Tränenvergiessen.
Bleibt der Trennungsschmerz jedoch über längere Zeit bestehen, gilt es, genauer hinzuschauen. Berichten die Betreuungspersonen, Ihr Kind weine jeweils sehr heftig und lange, lasse sich kaum trösten und wehre sich stark gegen das Mitmachen? Wirkt es auch beim Abholen und zu Hause bedrückt oder traurig? Verhält es sich ganz anders, als Sie es von ihm kennen? Dann sollten Sie das Gespräch mit den Betreuungspersonen suchen, um herauszufinden, wie Sie Ihrem Kind helfen können.
Möglicherweise löst sich das Problem bereits, wenn Sie es noch eine Weile lang etwas intensiver begleiten - vielleicht stellt sich aber auch heraus, dass es mit der grösseren Gruppe in der Kita überfordert ist und bei einer Tagesfamilie besser aufgehoben wäre. In der Spielgruppe kann es zuweilen sinnvoll sein, es nur mit einem Halbtag pro Woche zu probieren oder eine Pause einzulegen und erst im nächsten Quartal wieder einzusteigen.
Leidet das Kind an einer Angststörung?
Kullern bei jedem Abschied die Tränen, fragen sich Eltern zuweilen, ob das Kind an einer Angststörung leide. Diese Sorge ist in den meisten Fällen unbegründet. Der Trennungsschmerz verschwindet von selbst wieder, wenn das Kind mit liebevoller Begleitung gelernt hat, ihn zu bewältigen. Bei einer emotionalen Störung mit Trennungsangst hingegen sind die Ängste viel ausgeprägter und dauern über die typische Altersstufe hinaus an.
Betroffene Kinder leiden nicht nur beim Abschiednehmen, sie ertragen es beispielsweise auch nicht, kurze Zeit alleine zu Hause zu bleiben. Müssen sie dennoch von den Eltern getrennt sein, empfinden sie grosse Angst, der Mama oder dem Papa könnte etwas zustossen; abends alleine einzuschlafen ist vielfach unmöglich. Mit Weinen, Schreien und Wutanfällen wehren sie sich gegen jegliche Art von Trennung. Oftmals machen sich auch körperliche Beschwerden wie Übelkeit, Bauchschmerzen oder Kopfweh bemerkbar. Angstauslösende Situationen wie eine Übernachtung bei Freunden oder ein Klassenlager möchten betroffene Kinder am liebsten ganz meiden. Die Trennungsangst kann auch zu Schulvermeidung führen.
Therapeutische Hilfe ist angezeigt, wenn diese ausgeprägten Ängste über die Dauer von mehreren Wochen auftreten, eine grosse Belastung darstellen sowie den Alltag und das Sozialleben beeinträchtigen. In einer Verhaltenstherapie lernen betroffene Kinder schrittweise, die Trennung auszuhalten und angstauslösende Situationen nicht mehr zu meiden.