Musikalische Früherziehung: Musik, Spiel, Bewegung und Rhythmik - ein Spass für jedes Kind - oder auch mehr?
Interview mit Erika Kielholz
swissmom: In allen Kulturen der Welt beobachtet man dasselbe Phänomen: Begeisterte Kinder, die gerne zu einem Lied tanzen und singen. Musik und Rhythmik laden zum Bewegen ein, ist das auch Ihre Beobachtung?
Erika Kielholz: Singen, Tanzen, Bewegen sind elementarste menschliche Ausdrucksformen von der Geburt an. Wie freut sich schon ein Neugeborenes, wenn die Eltern singen oder summen, wenn sie dabei die Arme oder Beine des Kindes rhythmisch bewegen, wenn sie es in ihren Armen wiegen! Das ist die erste und wichtigste musikalische Früherziehung. Diese Freude und Geborgenheit wird das Kind ein Leben lang begleiten.
swissmom: Wie können Kinder auf spielerische Weise mit Singen und Musik vertraut gemacht werden?
Erika Kielholz: Die allerbeste musikalische Früherziehung braucht vorerst keinen Musiklehrer und auch kein Instrument…. Sie geschieht nämlich durch Sie als Eltern (und im Idealfall auch durch ältere Geschwister), indem Sie so oft wie möglich mit dem Kind singen. Bewegen Sie sich frei, tanzen Sie, während Sie das Baby im Arm halten oder wenn das Kind schon auf eigenen Füssen mittanzt - vielleicht singen oder trällern Sie dazu, was Ihnen gerade einfällt. Das ist die erste und beste musikalische Früherziehung, die Sie ihm schenken können. Und Sie machen sich dabei selber ein Geschenk, weil dies auch für Sie lustvoll ist! Vielleicht musizieren Sie später mit Ihrem Kind mit einem Triangel, einer Trommel, mit Schlaghölzern oder mit „Instrumenten“ aus Ihrer Küche: einer Rassel aus einer Büchse mit Steinchen oder Erbsen darin, oder indem Sie an einem Eierschneider zupfen, mit einem Löffel verschiedene Gläser anschlagen usw. Es gibt keine Grenzen für Ihre Fantasie! Ihr Kind wird mit Lust mitmachen und dabei auch von selbst zu singen anfangen.
Schon mit 16 Jahren leitete Erika Kielholz ihren ersten Kinderchor im Zwinglihaus Zürich. Sie arbeitete als Primarlehrerin und liess sich später zur musikalischen Früherzieherin ausbilden, unterrichtete während 16 Jahren musikalische Früherziehung in der Grundschule. Sie gründete und leitete den „Kinderchor Hinwil“ und leitete verschiedene Kinderchöre in Zürich. Für ihre Chöre verfasste sie zahlreiche Lieder und Musicals, z. B. Der kleine Muck / Katze und Maus in Gesellschaft / Die Bremer Stadtmusikanten / Mio, mein Mio / Hans und Felix im Glück / Der Hinwiler Noah usw. Erika Kielholz ist verheiratet, hat drei Kinder und fünf Enkelkinder und lebt im Zürcher Oberland.
swissmom: Wie sollen nun aber jene Eltern vorgehen, die kaum mehr Kinderlieder kennen?
Erika Kielholz: Es genügen am Anfang einige wenige Lieder. Es ist sogar von Vorteil, einem Baby immer wieder die gleichen Lieder vorzusingen. Es kann ja noch lange nicht mitsingen, aber die Lieder schlummern in ihm und schenken ihm Geborgenheit und Wärme. Sicher finden Sie eine CD mit den einfachsten Kinderliedern, an die Sie sich langsam wieder erinnern können. Auch hier gilt: Freude kommt vor Perfektion! Das Singen gehört besonders am Abend zum Ritual, das Ihr Kind nie auslassen will. Es darf vorerst auch nur ein einziges Lied sein.
swissmom: Ich habe eine tiefe Stimme. Die Lieder auf den CDs sind mir zu hoch!
Erika Kielholz: Das ist etwas, was ich oft beobachte, dass Eltern und sogar Lehrer/-innen in der Schule mit den Kindern oft sehr tief singen. Das ist für ein Kleinkind nicht optimal, weil es so mit der Zeit seine wunderbar klingende hohe Kinderstimme verlieren könnte. Wenn man mit Kindern singt, sollte man die Lieder immer möglichst hoch anstimmen, auch wenn man selber in dieser Tonlage vielleicht etwas Mühe hat. Es ist aber auf jeden Fall besser, tief zu singen, als gar nicht! Wer kaum mehr singt, hat vielleicht an Höhe verloren und landet dann mit der Zeit auf der Tiefe seiner Sprechstimme. Je häufiger man wieder selbst singt, desto besser erreicht man auch wieder höhere Töne. Und die Kinder übernehmen von selbst die Tonhöhe der Musik-CDs. Für Kleinkinder sind besonders jene Lieder geeignet, die sie dazu anregen, sich während dem Singen spielerisch zu bewegen. Die Liedtexte führen sie dabei ganz natürlich zu den passenden Bewegungen hin (z.B. Häsli i de Gruebe - Häsli hüpf!). Sehr wichtig ist es ausserdem, dass die Lieder Melodien haben, die auch ohne Musikbegleitung gut gesungen werden können. Das ist zum Teil bei den heutigen Kinderbands nicht der Fall. Diese Lieder sind zwar schön zum Zuhören, aber nicht kindergerecht, weil die Melodien nicht als eigenständige Lieder komponiert wurden, sondern nur mit Begleitung (Band, Schlagzeug etc.) „funktionieren“. Ein gutes, d.h. kindgerechtes Lied erkennen Sie daran, dass die Melodie auch ohne Begleitmusik funktioniert. Ausserdem singen einige Kinderbands viel zu tief - das macht es den Kindern zum Teil fast unmöglich, die Lieder mitzusingen. Eine geeignete Kinder-CD kann bereits 2-jährige oder noch jüngere Kinder zum Mitsingen und Bewegen animieren. Lieder, die man als Kind oft singt, werden zu einem lebenslangen Begleiter. Darum sind sie so kostbar, nicht umsonst spricht man von einem Liedschatz!
swissmom: Sie haben zwei Bücher mit Bewegungsliedern für Kinder verfasst. Was heisst das?
Erika Kielholz: Ich habe in meiner langjährigen Arbeit als Musiklehrerin für Vorschul- und Schulkinder immer wieder gesehen, wie gern sich Kinder beim Singen bewegen. Statt von ihnen zu verlangen, dass sie stillsitzen müssen, was ja vielen in dem Alter sowieso schwer fällt, kann man ihre natürliche Energie ins Singen „einbauen“! Weil es nicht so viele Lieder gibt, die diese Freude am Bewegen so bewusst integrieren, habe ich selber angefangen, Kinderlieder zu schreiben. Die Kinder erleben mit einem solchen Lied eine ganze Geschichte, bei der sie sofort mitmachen wollen - mit der Stimme und dem ganzen Körper. Sie identifizieren sich vollständig mit den Figuren und Inhalten der Lieder. So wird das Singen zu einem beglückenden und ganzheitlichen Erlebnis. Dank den Bewegungen können sich die Kinder die Lieder auch besser merken - das Gedächtnis wird unterstützt.
swissmom: Durch das Singen werden offensichtlich wichtige Bildungsinhalte wie soziale und sprachliche Kompetenzen gefördert. Ist das auch Ihre Erfahrung?
Erika Kielholz: Ja, Singen ist elementar für eine gesunde Entwicklung des Kindes! Es ist nicht nur die beste Grundlage für das spätere Erlernen eines Instruments, sondern spielt eine zentrale Rolle in der Sprach- und Gemütsbildung. Ausserdem helfen geeignete Lieder den Kindern, Ängste zu überwinden und emotionale Situationen im Alltag zu verarbeiten. Man hat herausgefunden, dass auch der schulische Erfolg mit musikalischer (Vor-)Bildung zusammenhängt. Und das Schönste daran: Singen ist gratis! Ich denke, dass zahlreiche andere Förderkurse weniger notwendig wären, wenn man mit den Kindern mehr singen und Musik machen würde - im Elternhaus und in der Schule… Ich hatte eine achtjährige Schülerin in der musikalischen Grundschule, die kaum ein Wort hervorbringen konnte, ohne extrem zu stottern. Sie litt enorm darunter. Singen konnte sie hingegen mühelos - das war ein wunderbares Erlebnis für sie. Und auch die anderen Kindern staunten und erlebten sie von einer ganz neuen Seite, als sie das erste Mal allein ein Lied sang ohne jedes Stottern!
swissmom: Auch die Grob- und Feinmotorik wird durch Sprach- und Bewegungsspiele gefördert. Welche Bereiche werden mit der musikalischen Früherziehung auch noch angesprochen?
Erika Kielholz: Ich denke da an Grundkompetenzen wie Konzentration, soziale und emotionale Intelligenz, Sinneswahrnehmungen, Stärkung der Imaginationskraft, Sprachentwicklung, Sensibilität, Entwicklung der körperlichen Koordinationsfähigkeiten usw. Ein dankbares und weites Feld liegt in der Verbindung von Musik und Malerei: Musik wird von den Kindern sehr gern mit Farben „sichtbar“ gemacht, beim gleichzeitigen Malen und Zeichnen ihrer Musik-Erlebnisse aufs Papier. Ebenso können Geschichten, Gedichte, Verse, Bilderbücher usw. zu einer eigenen Musikgeschichte führen, die mit selbst gewählten Instrumenten begleitet wird. Das wichtigste Ziel von allem musikalischen Tun ist und bleibt, die Freude an der Musik zu wecken beim Singen, Bewegen, Lachen, Tanzen, Musizieren…
swissmom: Ab welchem Alter empfehlen Sie eine musikalische Früherziehung FE? Welche Angebote empfehlen Sie und was gibt es in der Schweiz in diesem Bereich?
Erika Kielholz: Musikalische Früherziehung: Ab Kindergartenalter, 4. - 5. Lebensjahr Musikalische Grundschule: 1. /2. Primarklasse - diese ist teilweise kostenlos in der Schule integriert. Diese Angaben können in einzelnen Gemeinde variieren. Informationen erhalten Sie in Ihrer örtlichen Musikschule oder Primarschule. Hier darf ich Sie auf meine beiden CDs und Liederbücher hinweisen:
Stadtmuus-Blues (ausgezeichnet mit dem „Goldige Chrönli“ für hervorragende Schweizer Musikproduktion), CD mit 26 Bewegungsliedern in Schweizerdeutsch oder Hochdeutsch
Bitte mäld di, Christliche und interkonfessionelle Lieder zum Singen, Tanzen und Spielen.