Bau mal ein paar Überstunden ab!
Deine Mama hat die Kinder für ein paar Stunden zu sich nach Hause genommen und du hast endlich mal Zeit, ungestört den ganzen Kram zu erledigen, den du seit Ewigkeiten vor dir her schiebst. Zu kleine Kinderkleider aussortieren, zum Beispiel, oder Babyfotos einkleben, oder den Bastelschrank entrümpeln. Gleich wirst du dich an die Arbeit machen, doch du möchtest noch kurz diese himmlische Stille geniessen, ein paar Augenblicke mit geschlossenen Augen auf dem Sofa liegen und in den Tag hinein träumen...
Vier Stunden später schreckst du aus dem Tiefschlaf hoch, weil du im Flur Kinderlachen hörst, wenig später streckt deine Mama den Kopf durch die Tür: "Hallo, da wären wir wieder! Hast du viel erledigt?" Mit schlechtem Gewissen reibst du dir den Schlaf aus den Augen und fragst dich, was deine Mama jetzt wohl von dir denkt. Du darfst gar nicht damit anfangen, dir auszumalen, was du alles hättest schaffen können. Stattdessen hast du vier kostbare kinderfreie Stunden vergeudet. Wozu?
Na, wozu wohl? Zum Abbauen von Überstunden, wenigstens ein paar von den unzähligen, die du seit der Geburt deines ersten Kindes angehäuft hast. "Überstunden?", fragst du verblüfft. "Ich bin doch hier nicht angestellt. Ich arbeite freiwillig und gerne, ohne Vertrag, ohne Bezahlung und ohne Anspruch auf Urlaub. Da werde ich doch nicht so kleinlich sein und Überstunden aufschreiben..."
Nein, aufschreiben wäre tatsächlich ein sinnloses Unterfangen. Wie soll man auch all die Stunden je erfassen können? Die Nächte, die du im Halbschlaf verbringst, weil das Baby jedes Mal nach dir schreit, wenn ihm der Nuggi aus dem Mund fällt. Die Stunden auf der Notfallstation, weil die Kleine trotz aller Vorsicht vom Wickeltisch gefallen ist. Die Samstage und Sonntage, an denen du morgens um halb sechs zum Spaziergang aufbrichst, weil die Zwillinge sonst mit ihrem lauten Geschrei nicht bloss ihre Erzeuger, sondern das ganze Haus aufwecken. Die endlosen Tage, an denen du nach der Arbeit noch Geschichten vorliest, Schlaflieder singst, das Kinderzimmer aufräumst, Wäsche faltest, die Küche saubermachst, die Rechnungen bezahlst und Mails beantwortest, damit du dich morgen voll und ganz deinen Kindern widmen kannst. Die Ferien auf dem Campingplatz, wo du unter erschwerten Bedingungen genau die Dinge erledigst, die im Alltag auch zu tun sind. Die Woche mit Magen-Darm-Grippe, während der du kreidebleich und mit rebellierendem Magen Becken leerst, Betten frisch beziehst und Äpfel raffelst. Die Geburtstagsparties, bei denen jede Stunde drei- oder vierfach zählt, weil diese verzogenen Gören fröhlich auf deinen Nerven herumtanzen und behaupten, sie würden nur kokosraspel- und zuckerfreien Kuchen essen.
Das alles ist nur ein Bruchteil dessen, was du tagtäglich leistest, da ist es nicht mehr als recht, wenn du einen kinderfreien Nachmittag lang alle Viere von dir streckst und schläfst. "Ja, das mag wohl stimmen, aber warum musst du immer von Überstunden reden?", fragst du. Ganz einfach darum: Das schlechte Gewissen lässt sich von dieser Formulierung viel eher beeindrucken als wenn ich sage: "Ach weisst du, ich war so hundemüde, da konnte ich eben nicht mehr anders."