Der Laufgurt - Unverzichtbar oder überflüssig?
Kaum ein Gegenstand aus der Ausstattung für Kleinkinder ruft derart heftige Kontroversen hervor wie der Laufgurt, auch Laufgeschirr, Kinderleine, Lauflerngurt, Baby Harness oder "Rössligschirr" genannt. Während die einen schwören, ihr Kind wäre ohne den Gurt schon längst unter einem Auto gelandet, reden die anderen von Freiheitsberaubung. Meinungen und Erfahrungsberichte zum Thema findet man im Internet zuhauf, Entscheidungshilfen, die einen dabei unterstützen, eine für das Kind und die Situation passende Lösung zu finden, jedoch kaum. Ein absolutes "Richtig" oder "Falsch" gibt es nicht, die folgenden Anregungen sollen Ihnen dabei helfen, den für Ihre Familie richtigen Weg zu finden.
Absolute Sicherheit gibt es nicht
Ob mit oder ohne Laufgurt, absolute Sicherheit gibt es nicht. Das Unfallrisiko lässt sich vermindern, nicht aber ausschliessen. Kinder, die vor jeder Gefahr beschützt werden, sind auf lange Sicht gefährdeter, da sie nicht lernen, mit Gefahr umzugehen. Im Bezug auf den Laufgurt bedeutet dies, dass es in Menschenmengen oder an viel befahrenen Strassen sinnvoll sein kann, das Kind an einem Laufgurt zu führen, dass man ihm aber an Orten, wo weniger Gefahren lauern, die Freiheit lassen sollte, seine Fähigkeiten und Grenzen kennen zu lernen.
Es kommt auf das Kind an, ...
Die einen Eltern berichten, sie hätten zwar gerne ein "Rössligschirr" verwendet, ihr Kind habe dieses aber verweigert, die anderen wollten auf gar keinen Fall "eine Leine" und sahen dann doch keine andere Lösung mehr, weil ihr Kind vor keiner Gefahr zurückschreckte. Das eine Kind liebt es, Pferdchen zu spielen, das andere fühlt sich eingeengt und gegängelt. Wenn ein Kind weder auf Ermahnungen hört, noch an der Hand der Eltern geht und sich immer wieder in grosse Gefahr begibt, kann ein Laufgurt eine Übergangslösung bieten, bis das Kind in seiner Entwicklung soweit ist, die Ermahnungen der Eltern ernst zu nehmen.
... die Umgebung, ...
So, wie ein Kleinkind, das im Buggy sitzt, frei gehen darf, wenn keine oder nur geringe Gefahr herrscht, sollte auch ein Kind, das am Laufgurt geht, nicht pausenlos geführt werden. Selbst der grösste Wildfang, den die Eltern am Hauptbahnhof nur mit dem "Rössligschirr" unter Kontrolle zu behalten wissen, sollte sich auf dem Wanderweg frei bewegen dürfen, um seine Umgebung nach seinen Wünschen zu erkunden und wichtige Bewegungs- und Sinneserfahrungen zu machen.
... die Familiensituation, ...
Eltern, die mehrere Kleinkinder mit geringem Altersabstand haben, erleben das "Rössligschirr" als eine Erleichterung, die ihnen erlaubt, die Rasselbande unter Kontrolle zu haben. Wer vom Laufgurt nichts hält, wird sich aber auch mit anderen Methoden zu helfen wissen, z. B. mit einem Trittbrett am Kinderwagen, einem Leiterwagen oder einem Kinderwagensitz, wo ein grösseres Kind aufsitzen kann, wenn es sich nicht bändigen lässt.
... nicht aber auf die Angst der Eltern
Einen Laufgurt einzig darum zu verwenden, weil man Angst hat, dem Kind könnte sonst etwas zustossen, wäre falsch. Schmerzhafte Erfahrungen wie z. B. Stürze gehören zum Grosswerden und solange das Kind nicht in ernsthafter Gefahr schwebt, ist es wichtig, solche Erfahrungen zuzulassen. Wenn jeder Ausflug zu Fuss mit Angst und Anspannung verbunden ist, sollte das freie Gehen und das Hören auf elterliche Anweisungen an verkehrsberuhigten Orten geübt werden, denn wenn Eltern Angst haben, verunsichert dies auch das Kind.
Keine Lauflernhilfe
Wer sich für das "Rössligschirr" entscheidet, sollte sich bewusst sein, dass das Kind dank seiner Hilfe nicht besser laufen lernt, auch wenn zuweilen der Begriff "Lauflerngurt" verwendet wird. Das Kind lernt selber, sich an Gegenständen hochzuziehen, frei zu stehen und erste Schritte zu gehen. Auch wenn es schon selbständig gehen kann, verhilft ihm der Gurt nicht zu mehr Sicherheit, denn durch den stetigen Zug an der "Leine" gerät das Kind beim Vorwärtsgehen in eine Schräglage, was den Gleichgewichtssinn durcheinander bringt. Ausserdem verhindert der Gurt das richtige Fallen, was ebenso wichtig ist wie das Vorwärtskommen.