Wenn El­tern strei­ten

Kin­der ler­nen am Vor­bild von Er­wach­se­nen. Das gilt auch beim Strei­ten. Des­halb ist es wich­tig, eine gute Streit­kul­tur zu ent­wi­ckeln.

Kind verkriecht sich unter der Decke, während die Eltern streiten
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Kaum je­mand hat gern Streit - und doch ge­ra­ten wir uns mit den Men­schen, die wir lie­ben, all­zu leicht in die Haa­re. Wie schlimm ist es, wenn El­tern vor den Kin­dern strei­ten? Wie ge­lingt es, mög­lichst fair zu blei­ben? Und muss Streit über­haupt sein?

Wie wirkt sich der Streit der El­tern auf die Kin­der aus?


"Strei­tet euch nie vor den Kin­dern" - die­sen Rat­schlag be­kom­men El­tern oft zu hö­ren. Er be­ruht auf der Tat­sa­che, dass Kin­der mit­lei­den, wenn die El­tern hef­ti­ge Strei­te­rei­en auf de­struk­ti­ve Wei­se aus­tra­gen. Zahl­rei­che Un­ter­su­chun­gen ha­ben ge­zeigt, dass Kin­der, die im­mer wie­der mit­er­le­ben, wie Mut­ter und Va­ter ihre Kon­flik­te mit ver­let­zen­den Wor­ten und wo­mög­lich so­gar mit Hand­greif­lich­kei­ten aus­tra­gen, sel­ber ein im­pul­si­ves, trot­zi­ges und ag­gres­si­ves Ver­hal­ten zei­gen. Manch ein Kind fühlt sich auch schul­dig und ver­ängs­tigt, wenn die El­tern an­ein­an­der­ge­ra­ten. Strei­ten sie sich viel­leicht sei­net­we­gen, weil es et­was falsch ge­macht hat? Muss es ein­grei­fen, weil die Men­schen, die sonst so lieb und ge­dul­dig sind, auf ein­mal so zor­nig und laut sind? Wer­den sie sich am Ende gar tren­nen? 

Soll­ten El­tern Streit ver­mei­den?


Trotz die­ser ne­ga­ti­ven Aus­wir­kun­gen ist der Rat­schlag, sich nie vor den Kin­dern zu strei­ten, nicht ganz un­pro­ble­ma­tisch. Denn auch Kon­flikt­lö­sung ist et­was, was die Klei­nen am Vor­bild der Er­wach­se­nen ler­nen. Be­kom­men sie nie eine Un­stim­mig­keit zwi­schen den El­tern mit, kön­nen sie nie be­ob­ach­ten, wie die Gros­sen ihre Mei­nungs­ver­schie­den­hei­ten klä­ren und sich wie­der ver­söh­nen. 

Hin­zu kommt, dass Kin­der spü­ren, wenn et­was nicht in Ord­nung ist, selbst wenn die El­tern sich noch so sehr dar­um be­mü­hen, sich nichts an­mer­ken zu las­sen. Schwelt un­ter der schein­bar fried­li­chen Ober­flä­che ein Dau­er­kon­flikt, be­kom­men die Kin­der dies na­tür­lich mit. Die per­ma­nent an­ge­spann­te Stim­mung wirkt sehr be­drü­ckend und löst Ängs­te aus. Die Din­ge ein­fach un­ter den Tep­pich zu keh­ren ist also ähn­lich schäd­lich, wie ein­an­der an­dau­ernd wüs­te Schimpf­wör­ter an den Kopf zu wer­fen.  

Der Rat an El­tern müss­te da­her viel eher lau­ten: Fin­den Sie ei­nen Weg, Ihre Dif­fe­ren­zen re­spekt­voll zu klä­ren. Und zei­gen Sie die Grös­se, sich auf­rich­tig zu ent­schul­di­gen, falls Sie sich im Streit un­ge­recht ver­hal­ten ha­ben. So ler­nen Kin­der zu ver­ste­hen, dass auch Men­schen, die sich lie­ben, ein­an­der zu­wei­len ver­let­zen. An Ih­rem Vor­bild kön­nen sie se­hen, wie man zu ei­ge­nen Feh­lern steht, um Ver­zei­hung bit­tet und sich wie­der ver­söhnt. Dies wird ih­nen spä­ter auch in ih­ren ei­ge­nen Be­zie­hun­gen hel­fen. 

Wor­auf soll­ten El­tern beim Strei­ten ach­ten?


Ihr obers­tes Ziel muss also nicht sein, in An­we­sen­heit der Kin­der jede Un­stim­mig­keit zu ver­mei­den. Wich­ti­ger ist es, dass Sie sich auch dann an ge­wis­se Re­geln hal­ten, wenn die Emo­tio­nen hoch­ge­hen:

  • Wür­di­gen Sie Ih­ren Part­ner oder Ihre Part­ne­rin nicht vor den Kin­dern her­ab. Be­lei­di­gun­gen, wüs­te Schimpf­wör­ter und Hand­greif­lich­kei­ten soll­ten Sie des­halb un­be­dingt ver­mei­den. 

  • Zie­hen Sie Ihre Kin­der nicht in den Kon­flikt hin­ein. Sie sol­len nicht für ei­nen El­tern­teil Par­tei er­grei­fen müs­sen. Und sie müs­sen sich auch nicht an­hö­ren, wie da­ne­ben sich der an­de­re El­tern­teil in Ih­ren Au­gen schon wie­der auf­ge­führt hat.

  • Ver­su­chen Sie, Ihre Wut un­ter Kon­trol­le zu be­hal­ten, denn wenn Er­wach­se­ne aus­ras­ten, wirkt dies auf Kin­der sehr be­droh­lich. Falls Sie in Ge­fahr ste­hen, die Kon­trol­le über Ihre Ge­füh­le zu ver­lie­ren, un­ter­bre­chen Sie den Streit. Sa­gen Sie klar und deut­lich, dass Sie jetzt zu wü­tend sind, um wei­ter zu re­den und dass Sie sich erst ein­mal be­ru­hi­gen müs­sen. Ver­las­sen Sie den Raum und re­agie­ren Sie sich ab - auf ei­nem Spa­zier­gang, am Box­sack im Kel­ler oder in­dem Sie sich bei ei­ner gu­ten Freun­din die Wut von der See­le re­den. Um die Kin­der nicht un­nö­tig zu ängs­ti­gen, sa­gen Sie, dass Sie wie­der zu­rück­kom­men wer­den, wenn der Zorn ab­ge­kühlt ist. 

  • Gibt es in Ih­rer Part­ner­schaft ein Kon­flikt­the­ma, das die Kin­der über­for­dern wür­de, be­spre­chen Sie die­ses, wenn Sie al­lei­ne und un­ge­stört sind. Falls die Kin­der den­noch et­was da­von mit­be­kom­men und Fra­gen stel­len, be­ant­wor­ten Sie die­se mög­lichst ehr­lich und kin­der­ge­recht - und ohne den be­trof­fe­nen El­tern­teil bloss­zu­stel­len

  • Ha­ben sich die Wo­gen wie­der ge­glät­tet, müs­sen nicht nur Sie als Paar die Din­ge wie­der in Ord­nung brin­gen. Er­klä­ren Sie den Kin­dern auf ver­ständ­li­che Wei­se, war­um Sie sich ge­strit­ten ha­ben und dass Sie sich wie­der ver­söhnt ha­ben. Kin­der kom­men bes­ser mit ne­ga­ti­ven Er­leb­nis­sen klar, wenn sie ver­ste­hen, was pas­siert ist und wenn sie ehr­li­che Ant­wor­ten auf ihre Fra­gen be­kom­men. 

  • Schlies­sen Sie wenn mög­lich Frie­den, be­vor der Tag zu Ende ist. Kin­der fin­den schlecht zur Ruhe, so­lan­ge die El­tern sich zan­ken. 

  • Strei­ten Sie sich im­mer häu­fi­ger und ge­lingt es Ih­nen nicht mehr, ei­nen Aus­weg aus Ih­ren Kon­flik­ten zu fin­den, wen­den Sie sich an eine Be­ra­tungs­stel­le, z. B. an die Fa­mi­li­en­be­ra­tungs­stel­le Ih­res Wohn­kan­tons.

War­um strei­ten sich El­tern über­haupt? 


Falls es bei Ih­nen im­mer mal wie­der kracht, lohnt es sich, dar­über nach­zu­den­ken, war­um dies so ist. Der Grund ist näm­lich meis­tens nicht die Wä­sche, die der Part­ner schon wie­der "falsch" zu­sam­men­ge­fal­tet und in den Schrank ge­räumt hat. Sol­che Klei­nig­kei­ten kön­nen zwar in schö­ner Re­gel­mäs­sig­keit das Blut zur Wal­lung brin­gen. Sie sind aber mit gros­ser Wahr­schein­lich­keit nur der be­rühm­te Trop­fen, der das Fass zum Über­lau­fen ge­bracht hat. Die wah­ren Grün­de lie­gen meist tie­fer, bei­spiels­wei­se:

  • Im gan­zen All­tags­stress, der es Ih­nen kaum er­laubt, ein­mal ein paar Mo­men­te zur Ruhe zu kom­men.

  • In vie­len gros­sen und klei­nen Her­aus­for­de­run­gen, die Ih­nen das Le­ben schwer ma­chen: die be­eng­ten Wohn­ver­hält­nis­se, fi­nan­zi­el­le Pro­ble­me, die Schwie­ger­el­tern, die im­mer nur kri­ti­sie­ren, die Nach­barn, die sich an­dau­ernd über die spie­len­den Kin­der be­schwe­ren ...

  • In den feh­len­den Mög­lich­kei­ten, un­ge­stört Zeit mit­ein­an­der zu ver­brin­gen, sich aus­zu­tau­schen und die schö­nen Sei­ten der Be­zie­hung zu ge­nies­sen. Bei vie­len El­tern kommt ir­gend­wann das Ge­fühl auf, man sei zwar ein mehr oder we­ni­ger gut ein­ge­spiel­tes Ar­beits­team, aber schon längst kein Lie­bes­paar mehr. Ir­gend­wann kön­nen dau­ern­de Kri­tik und Strei­tig­kei­ten der­art über­hand­neh­men, dass der Ge­dan­ke auf­kommt, mit ei­ner an­de­ren Per­son wäre das Le­ben viel schö­ner und bes­ser.

  • In ei­ner all­ge­mei­nen Un­zu­frie­den­heit, die Sie aus­ge­rech­net an Ih­ren Liebs­ten aus­las­sen. Es ist so viel ein­fa­cher, sich an den of­fen­sicht­li­chen Un­zu­läng­lich­kei­ten des an­de­ren auf­zu­rei­ben, als zu er­ken­nen, wo im ei­ge­nen Le­ben eine Ver­än­de­rung an­ge­bracht wäre. 

  • In ent­täusch­ten Er­war­tun­gen, weil der Mensch, mit dem Sie Ihr Le­ben tei­len, par­tout nicht von sei­nen Ei­gen­schaf­ten und Ver­hal­tens­mus­tern las­sen will, die Sie so furcht­bar ner­ven. 

Die Zän­ke­rei­en über Klei­nig­kei­ten fres­sen die En­er­gie, die Sie ei­gent­lich bes­ser dazu brau­chen könn­ten, an den tie­fer­lie­gen­den Ur­sa­chen et­was zu än­dern. Doch ein zünf­ti­ger Streit hilft in die­sem Fall  nicht wei­ter, denn er bringt in der Re­gel kei­ne Lö­sun­gen her­vor. Sind die Streit­par­tei­en erst mal rich­tig in Fahrt, geht es bei­den nur noch ums Recht­ha­ben. Vie­le Paa­re ma­chen die Er­fah­rung, dass sie sich eins ums an­de­re Mal die glei­chen Vor­wür­fe an den Kopf wer­fen, ohne auch nur ei­nen Schritt wei­ter­zu­kom­men. 

Kon­flik­te an­ders an­ge­hen - geht das?


Soll sich in der Be­zie­hung wirk­lich et­was än­dern, hilft es, Kon­flik­te an­ders an­zu­ge­hen. Dazu braucht es ein paar Grund­re­geln, an die sich bei­de hal­ten müs­sen: 

Gros­se Bro­cken nicht zwi­schen Tür und An­gel an­spre­chen

Ver­ein­ba­ren Sie lie­ber ei­nen Ge­sprächs­ter­min, da­mit Sie in ge­müt­li­cher At­mo­sphä­re un­ge­stört mit­ein­an­der re­den kön­nen. Um da­bei nicht in eine frucht­lo­se End­los­dis­kus­si­on zu ge­ra­ten, le­gen Sie ei­nen zeit­li­chen Rah­men fest.

Beim The­ma blei­ben

Sprin­gen Sie nicht von ei­nem Kon­flikt­the­ma zum nächs­ten, son­dern re­den Sie nur über die Punk­te, die Sie sich vor­ge­nom­men ha­ben. Kom­men im Ge­spräch an­de­re wich­ti­ge The­men auf, ge­hen Sie die­se in ei­nem nächs­ten Schritt an. 

Auf Vor­wür­fe ver­zich­ten

Stei­gen Sie mit Vor­wür­fen und per­sön­li­chen An­grif­fen ins Ge­spräch ein, löst dies beim an­de­ren eine Ab­wehr­hal­tung aus. Ver­su­chen Sie statt­des­sen, Ihre Sicht der Din­ge zu schil­dern und zu for­mu­lie­ren, wel­che Ver­än­de­rung Sie sich wün­schen. 

Ein­an­der aus­re­den las­sen

Fal­len Sie ein­an­der nicht ins Wort, son­dern hö­ren Sie auf­merk­sam zu. Un­ter­bre­chen Sie nur, wenn Sie eine Ver­ständ­nis­fra­ge ha­ben. 

Ein­an­der gute Ab­sich­ten un­ter­stel­len

Auch wenn eine Sa­che noch so nerv­tö­tend ist - meis­tens steckt kein bö­ser Wil­le da­hin­ter. Schon gar nicht im Zu­sam­men­le­ben mit Men­schen, die man liebt. Wenn Sie ein­an­der ge­gen­sei­tig gute Ab­sich­ten un­ter­stel­len, ge­lingt es bes­ser, un­ter­schied­li­che Sicht­wei­sen und Her­an­ge­hens­wei­sen zu ak­zep­tie­ren und ei­nen für bei­de trag­ba­ren Kom­pro­miss zu fin­den. 

Die Lö­sung in Wor­te fas­sen

Ha­ben Sie eine Lö­sung oder ei­nen Kom­pro­miss ge­fun­den, for­mu­lie­ren Sie die­se aus. Man­chen Paa­ren hilft es, dies schrift­lich fest­zu­hal­ten oder so­gar ei­nen "Ver­trag" auf­zu­set­zen, der sie im­mer wie­der an die ge­trof­fe­ne Ver­ein­ba­rung er­in­nert. 

Auch mal et­was ste­hen las­sen kön­nen

Selbst in der bes­ten Be­zie­hung gibt es Din­ge, die sich nicht än­dern las­sen. In man­chen Punk­ten gibt es kei­nen an­de­ren Weg, als den Men­schen an sei­ner Sei­te so zu lie­ben und an­zu­neh­men, wie er oder sie nun mal ist. Dies gilt na­tür­lich nicht bei Pro­ble­men, wel­che die Be­zie­hung stark be­las­ten oder Ih­nen und den Kin­dern scha­den. 

Sich hel­fen las­sen

Man­che Kno­ten las­sen sich nicht ohne Hil­fe lö­sen. Viel­leicht reicht es be­reits, sich mit ei­nem be­freun­de­ten Paar aus­zu­tau­schen. Viel­leicht ist aber auch eine pro­fes­sio­nel­le Be­ra­tung nö­tig. Neh­men Sie die­se am bes­ten schon in An­spruch, be­vor end­lo­se Strei­te­rei­en die Freu­de am Zu­sam­men­sein zu ver­der­ben dro­hen. 

Letzte Aktualisierung: 08.05.2023, TV

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