Liebe Väter...
Falls ihr kindergarten- oder schulpflichtige Kinder habt, habt ihr in den letzten Wochen bestimmt hin und wieder zu hören bekommen: "Papa, die Lehrerin hat gesagt, du darfst auf gar keinen Fall auf Schulbesuch kommen." Auf die verwunderte Frage, weshalb denn ein spontaner Besuch in den Hallen der Bildung plötzlich verboten sei, hat das Kind kichernd geantwortet: "Also, Mama darf natürlich schon kommen, aber du nicht. Wir basteln nämlich gerade für dich. Etwas aus WC-Rollen, Garn und Steinen. Aber mehr darf ich nicht verraten, das wird nämlich eine Überraschung."
Natürlich verhält sich auch die Mutter eurer Kinder seit einiger Zeit ein wenig seltsam. Neulich wollte sie wissen: "Was gefällt dir eigentlich besser? Mittagessen im Gartenrestaurant, bräteln im Wald oder ein Essen beim Griechen um die Ecke?" Als die Antwort nicht wie aus der Pistole geschossen kam, drängte sie: "Nun sag schon, ich muss doch frühzeitig reservieren, sonst ist wieder alles ausgebucht." Und sie bestand darauf, dass die sonntägliche Joggingrunde mit dem besten Freund am ersten Sonntag im Juni ins Wasser fallen muss. "Du musst doch endlich wieder mal richtig ausschlafen. Das hast du dir verdient", meinte sie. Dabei findet sie doch sonst immer, etwas mehr Einsatz für die Fitness wäre nicht schlecht, es zeige sich da allmählich ein Bauchansatz.
Als ob es nicht reichte, wenn Frau und Kinder sich sonderbar aufführen, benimmt sich jetzt auch noch eure Mutter seltsam: "Vergiss deinen Papa dieses Jahr bitte nicht schon wieder", sagte sie neulich mit hochgezogenen Augenbrauen. Die Antwort - ein leicht verwirrtes Gemurmel das so ähnlich klang wie "bestimmt nicht" - war offenbar wenig überzeugend, denn gestern Abend rief sie an und sagte klipp und klar: "Sohn, du weisst doch, wie wichtig deinem Vater der erste Sonntag im Juni ist, also wag es nicht, ohne einen anständigen Whiskey aufzukreuzen." Die Frau an eurer Seite zeigt sich nicht unbedingt begeistert, als sie vom Besuch bei den Schwiegereltern erfährt: "Okay, wenn's sein muss. Wir müssen einfach schauen, wie wir das alles aneinander vorbeibringen. Mein Papa erwartet uns ja auch noch. Du weisst, wie viel ihm das bedeutet. Und dann haben die Kinder noch diese Überraschung für dich vorbe... Ach, Mist! Davon sollst du ja gar nichts erfahren..."
Das alles mag euch ziemlich rätselhaft vorkommen, aber um des lieben Friedens Willen spielt ihr brav mit. Ihr sagt die Joggingrunde ab und besorgt wie gewünscht den Whiskey für euren Vater. Eigenartig, was da im Regal mit dem Hochprozentigen alles steht. "Best Daddy in the World"-Scotch, "Super-Papi"-Cognac und "Danke Papa"-Vodka. Nach einigem Überlegen landet der "Best Daddy in the World" im Einkaufskorb, etwas später gesellen sich noch zartbittere "Für meinen lieben Papa"-Truffes dazu.
Genau so ist es doch, liebe Väter, nicht wahr? Und am ersten Sonntag im Juni wecken sie euch im Morgengrauen mit frischen Gipfeli, Basteleien aus WC-Rollen und holprigen Gedichten, in denen sie euch als Helden des Alltags hochleben lassen. Den ganzen Tag lang lesen sie euch jeden Wunsch von den Augen ab, ja, sie tragen euch geradezu auf Händen, um euch spüren zu lassen, wie unverzichtbar ihr in der Familie seid.
Wie? Ihr sagt, mit mir sei die Fantasie durchgebrannt? Ich würde kompletten Unsinn von mir geben? Bei euch zu Hause laufe alles wie immer, ihr hättet nicht im Geringsten das Gefühl, dass da irgend etwas im Busch sei?
Ja, aber das darf doch nicht wahr sein! Am ersten Sonntag im Juni ist Vatertag und ihr, meine lieben Väter, hättet es gewiss auch mal verdient, ein wenig gefeiert zu werden. Mit Ausschlafen, Gedichten, Basteleien und so. So wie wir Mütter am Muttertag halt.