Va­gi­nal See­ding

Neugeborenes auf dem Bauch der Mutter
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Wenn Kin­der auf na­tür­li­chem Wege ge­bo­ren wer­den, kom­men sie wäh­rend des Ge­burts­vor­gangs mit der Mi­kro­bio­ta - das heisst den Bak­te­ri­en - der Va­gi­nal­schleim­haut der Mut­ter in Kon­takt. Das führt dazu, dass die Häu­te und Schleim­häu­te des Ba­bys mit gu­ten, ge­sund­heits­för­dern­den Bak­te­ri­en be­sie­delt wer­den. Der Kon­takt mit den müt­ter­li­chen Schei­den­bak­te­ri­en fehlt bei ei­ner Kai­ser­schnitt­ge­burt und das Neu­ge­bo­re­ne wird mit an­de­ren Bak­te­ri­en (z.B. Haut­bak­te­ri­en) be­sie­delt. Kai­ser­schnitt­ent­bun­de­ne Ba­bys wei­sen da­her eine an­de­re Bak­te­ri­en­zu­sam­men­set­zung auf als na­tür­lich ent­bun­de­ne Ba­bys. Gleich­zei­tig ist be­kannt, dass durch ei­nen Kai­ser­schnitt zur Welt ge­kom­me­ne Ba­bys ein er­höh­tes Ri­si­ko für die Ent­wick­lung von All­er­gi­en, Asth­ma oder Dia­be­tes auf­wei­sen. Auch dau­ert bei Kai­ser­schnitt­kin­dern die Ent­wick­lung ei­ner ge­sun­den Darm­flo­ra ein paar Mo­na­te län­ger und drei Vier­tel der Neu­ge­bo­re­nen, die an den ge­fähr­li­chen Kran­ken­haus­kei­men er­kran­ken, sind Kai­ser­schnitt-Kin­der. Es ist also durch­aus mög­lich, dass die ab­wei­chen­de Bak­te­ri­en­be­set­zung eine Rol­le bei der Ent­ste­hung der ge­nann­ten Krank­hei­ten spielt.

Soll­te dies tat­säch­lich der Fall sein, könn­te eine ein­fa­che Me­tho­de Ab­hil­fe schaf­fen: das Va­gi­nal See­ding oder Mi­kro­ben­trans­fer. Es han­delt sich hier­bei um eine Me­tho­de, die in­zwi­schen schon in ei­ni­gen Spi­tä­lern an­ge­wen­det wird: Um et­was Schei­dense­kret zu er­hal­ten, wird vor der Ge­burt ein mit ste­ri­ler Koch­salz­lö­sung ge­tränk­ter Tup­fer oder eine Mull­bin­de in die Schei­de ein­ge­führt und die­se wäh­rend der Ope­ra­ti­on in ei­nem ste­ri­len Be­hält­nis auf­be­wahrt. Nach der Ope­ra­ti­on kön­nen die Schleim­häu­te (Mund, aber auch die Au­gen) und die Haut des Ba­bys mit dem müt­ter­li­chen Va­gi­nal­se­kret ein­ge­rie­ben wer­den. Pi­lot­stu­di­en konn­ten zei­gen, dass das Darm­mi­kro­bi­om (die Darm­flo­ra) so be­han­del­ter Ba­bys mehr dem von na­tür­lich ge­bo­re­nen Ba­bys äh­nelt. Al­ler­dings sind noch kei­ne lang­fris­ti­gen Aus­wir­kun­gen, z.B. auf die oben ge­nann­ten Er­kran­kun­gen, be­kannt.

Ne­ben ge­sun­den Bak­te­ri­en kön­nen auch krank­heits­er­re­gen­de Bak­te­ri­en wie Chla­my­di­en, Strep­to­kok­ken, E. coli oder Her­pes­vi­ren in der müt­ter­li­chen Va­gi­na vor­han­den sein, die sich so­mit auf das Kind über­tra­gen könn­ten. Man kann nicht aus­schlies­sen, dass se­xu­ell über­trag­ba­re Er­kran­kun­gen (STD) so den Weg zum Neu­ge­bo­re­nen fin­den. Vie­le Frau­en ge­hö­ren nicht zu Ri­si­ko­grup­pen und wis­sen nichts von der ei­ge­nen Er­kran­kung. Die In­fek­tio­nen mit den ge­nann­ten Kei­men kön­nen bei der Mut­ter sym­ptom­los sein, eine An­ste­ckung mit B-Strep­to­kok­ken kann beim Neu­ge­bo­re­nen al­ler­dings zu ei­ner Sep­sis füh­ren. Kri­ti­kern sind die­se mög­li­chen In­fek­ti­ons­ri­si­ken zu gross, so lang noch kein de­fi­ni­tiv po­si­ti­ver Nut­zen des Va­gi­nal See­dings nach­ge­wie­sen wur­de. Be­für­wor­ter hal­ten da­ge­gen, dass es zu sol­chen In­fek­tio­nen auch wäh­rend des na­tür­li­chen Ge­burts­vor­gangs kom­men kann.

Müt­ter, die Va­gi­nal See­ding in Er­wä­gung zie­hen, soll­ten sich über die Ri­si­ken und den bis­her nicht nach­ge­wie­se­nen Nut­zen be­wusst sein. Auf je­den Fall soll­ten sie sich vor der Ge­burt auf ge­fähr­li­che Krank­heits­er­re­ger tes­ten las­sen, müs­sen eine Kli­nik fin­den, die sie bei dem Ver­fah­ren un­ter­stützt oder nach ei­nem selbst­durch­ge­führ­ten Va­gi­nal See­ding ihr Kind me­di­zi­nisch über­wa­chen las­sen.

Aus Sicht der Deut­schen Ge­sell­schaft für Gy­nä­ko­lo­gie und Ge­burts­hil­fe (DGGG) gibt es kei­ne Be­le­ge für den lang­fris­ti­gen Er­folg. Da­her müs­se die Me­tho­de in kli­ni­schen Stu­di­en un­ter­sucht wer­den, was vier bis sechs Jah­re dau­ern kön­ne. Ex­per­ten ra­ten da­her wei­ter­hine­her dazu, die Mi­kro­bio­ta­zu­sam­men­set­zung (Darm­flo­ra) Neu­ge­bo­re­ner durch Fak­to­ren wie Er­näh­rung (Stil­len), den Ver­zicht auf An­ti­bio­ti­ka­be­hand­lun­gen (wenn nicht un­be­dingt nö­tig) und den frü­hen Haut­kon­takt mit der Mut­ter (und/oder dem Part­ner) po­si­tiv zu be­ein­flus­sen.

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Letzte Aktualisierung: 08.04.2020, BH

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