Geburt im Wasser

Interview mit Dr. med. Verena Geissbühler

Mutter mit Neugeborenem nach der Wassergeburt
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swissmom: Wie viele der Schwangeren, die Sie betreuen, wünschen sich eine Wassergeburt? Und wie viele Frauen haben dann tatsächlich eine?

Dr. Geissbühler: Ungefähr  2/3 der Frauen wünschen sich eine Wassergeburt oder könnten sich diese sehr wohl vorstellen. Schlussendlich gebären von diesen Frauen 1/3 der Erstgebärenden und  etwa 2/3 der Zweit- und Mehrgebärenden tatsächlich im Wasser. Der Entscheid zur Wassergeburt, resp. ob es einem wirklich gefällt im Wasser, wird letztendlich immer erst unter der Geburt entschieden. An der Entscheidungsfindung beteiligen sich meist auch Hebamme und Arzt/Ärztin.

swissmom: Wann steigt man denn in die grosse Badewanne?

Dr. Geissbühler: Wann in die Badewanne eingestiegen wird, entscheidet die werdende Mutter. Dies kann in der frühen Eröffnungsperiode sein, um mal zu entspannen, oder es kann auch die ganze Eröffnungsperiode und Austreibungsperiode im Wasser verbracht werden. Die Gebärende soll sich wohl fühlen. Ob Wasser geeignet ist, merken die werdenden Mütter sehr rasch.

Zur Person

Dr. med. Verena Geissbühler

Dr. med. Verena Geissbühler ist Stv. Chefärztin am Frauenspital des Kantonsspitals Frauenfeld, wo schon seit 1991 Wassergeburten durchgeführt werden. 

swissmom: Was ist vorbereitend notwendig?

Dr. Geissbühler: Empfehlenswert ist ein Einlauf, jedoch nicht zwingend.

swissmom: Wie werden die Wehen, die Herzaktion des Kindes und die weitere Eröffnung des Muttermundes im Wasser beobachtet?

Dr. Geissbühler: Mittels Telemetrie, einer Art mobilem CTG, können wir auch im Wasser die Wehentätigkeit  und den kindlichen Herzschlag überwachen und aufzeichnen. Der Muttermund wird ebenfalls ganz normal getastet. 

swissmom: Wie ist das mit Schmerzerleichterung, z.B. einer Rückenmarksspritze (PDA)?

Dr. Geissbühler: Das warme Wasser wirkt ja entspannend und schmerlindernd, deshalb ist in der Regel gar keine PDA notwendig. Theoretisch wäre eine PDA in der Wanne möglich, wie wir das aus der Urologie von Nierensteinzertrümmerungen kennen. Das warme Wasser kann sehr gut mit Schmerzmitteln aus der Komplementär- und/oder Schulmedizin kombiniert werden. 

swissmom: Warum ist eine „Unterwassergeburt“ oder „Wassergeburt“ überhaupt etwas Besonderes? Ist es nicht egal, ob das Baby ein paar Minuten später aus dem (Frucht-) Wasser an die Luft gelangt?

Dr. Geissbühler: Beim Menschen ist die Geburt von der Natur her als Landgeburt konzipiert. Warmes Wasser und Entspannen im Wasser bedeuten aber Schmerzlinderung und Wohlbefinden. Dies macht die Wassergeburt so faszinierend und anziehend. Frauen, die im Wasser gebären, brauchen weniger Schmerzmittel, der Blutverlust ist geringer, es braucht weniger Dammschnitte (in Frauenfeld liegt die Dammschnittrate bei Wassergeburten unter 5%) und das Geburtserlebnis für die Frau und ihren Partner ist schöner. 

swissmom: Kann es passieren, dass das Neugeborene Wasser einatmet?

Dr. Geissbühler: Es gibt den so genannten Taucherreflex, der dafür sorgt, dass das Neugeborene kein Wasser in die Lungen hineinzieht. Erst beim ersten Kontakt der Gesichtshaut mit der Luft atmet das Baby richtig. Dann darf es natürlich nicht gleich wieder untertauchen. Deshalb achten wir sehr darauf, dass das Neugeborene vollständig unter Wasser entwickelt wird und dann direkt der Mutter auf die Brust gelegt wird. 

swissmom: Was passiert direkt nach der Geburt im Wasser? Bleibt die Mutter im Wasser oder steigt sie sofort aus der Wanne?

Dr. Geissbühler: Nach der Geburt  verbleibt das Neugeborene auf der Brust der Mutter . Für Wärme wird von oben gesorgt (Wärmelampe). In der Regel wird der Mutterkuchen noch im Wasser „geboren“ (Nachgeburt). Und anschliessend steigt die Wöchnerin aus der Wanne. 

swissmom: Das Wasser in der Badewanne kann nicht „sauber“, schon gar nicht „keimfrei“ sein. Ist das für das Baby oder auch für die Wundheilung der Mutter ein Problem?

Dr. Geissbühler: Untersuchungen zeigen zwar, dass es im Wasser mögliche Krankheitserreger gibt (z.B. sind fast immer Stuhl-Keime, also Colibakterien, nachweisbar; aber auch in den Tüchern und Bettlaken bei Bettgeburten!). Das resultiert aber nicht in häufigeren Infektionen bei den Wasserbabys und ihren Müttern. Unsere Badewannen werden mikrobiologisch regelmässig kontrolliert und nach einem strengen Protokoll gereinigt.  

swissmom: Gibt es Schwangere, denen Sie von einer Wassergeburt abraten würden? Ist ein vorhergegangener Kaiserschnitt oder eine Zangengeburt ein Hindernis?

Dr. Geissbühler: Ein vorangegangener Kaiserschnitt oder eine Zangen- oder Saugglockengeburt sind kein Hindernis für eine Wassergeburt. Auch nicht, wenn ein vorzeitiger Blasensprung besteht. Aber wenn Mehrlinge geboren werden sollen, das Baby in der Steisslage liegt oder das Baby zu früh kommt, sind wir mit Wassergeburten zurückhaltend. Gleich verfahren wir bei stark übergewichtigen Müttern und wenn wir wissen dass es ein grosses Baby (über 4500g) sein wird. Wir raten von einer Wassergeburt ab, wenn die Wahrscheinlichkeit gross ist, dass wir als Geburtshelfer rasch eingreifen müssen, weil es dem Baby schlecht geht.

Letzte Aktualisierung: 11.03.2020, BH