Ist Babyschwimmen wichtige Frühförderung?
Interview mit Kristina Pfister
Heutzutage geht man ins Babyschwimmen. Warum sollte man das tun?
Kristina Pfister: Babyschwimmen ist nicht etwas, was man tun "sollte". Man nimmt als Eltern kein Risiko verpasster Chancen in Kauf, nur weil man keinen Kurs besucht. "Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr" gilt fürs Babyschwimmen nicht.
Es heisst doch, Babyschwimmen fördert die Entwicklung. Sie machen nicht gerade Werbung fürs Babyschwimmen.
Kristina Pfister: Ich bin ehrlich. Natürlich ist es naheliegend, dass liebevolles Babyschwimmen dem Baby guttut. Aber wir müssen die Tatsache anerkennen, dass es keine wissenschaftlichen Beweise für die entwicklungsfördernde Wirkung von Babyschwimmen gibt.
Kristina Pfister führt seit 30 Jahren eine Wasserschule für Babys in Winterthur und Zürich. Unter ihrer Leitung finden im Hotel Schweizerhof, Lenzerheide, regelmässig Kursweekends für Babys und Kleinkinder statt. Weitere Infos zu den Kursen und Wasser-Weekends unter: www.babyschwimmen.ch
Dann ist für Sie Babyschwimmen keine Frühförderung?
Kristina Pfister: Nicht, wenn der Hype um die Frühförderung aus der Angst kommt. So die Idee, mit dem Kind einen Leistungsvorsprung erarbeiten zu wollen, damit es "später" besser mitkommt. Dieser Gedanke kommt aus der Angst. Wer ein bisschen sensibel ist, kann spüren, dass ein Kind diese Motivation nicht cool findet.
Was wären Gründe, einen Kurs zu besuchen?
Kristina Pfister: Weil es etwas Schönes ist. Wir sammeln gerne schöne Erfahrungen. Wir behalten dann etwas in guter und wohliger Erinnerung und legen so bei den Babys den Grundstein für eine lebenslange gute Beziehung zum Wasser. Positive erste Prägungen zu haben, ist etwas sehr Wertvolles.
Was bedeutet Babyschwimmen für Sie?
Kristina Pfister: Auch wenn der Begriff Babyschwimmen zur Annahme verleitet, es ginge um funktionale Förderung, ist dies eher ein Nebeneffekt. Der eigentliche Sinn von Babyschwimmen ist vielmehr ein sinnliches Verweilen und Spielen im Wasser.
Also einfach nur spielen und sein. Ist das nicht ein bisschen wenig?
Kristina Pfister: Nicht das "Machen" ist heute eine Kunst, sondern das "Sein lassen". Also das Umschalten in die Entspannung und in die sinnliche Präsenz. Damit holen wir das Baby vielmehr in seiner Welt ab.
Und was ist die Welt des Babys?
Kristina Pfister: Was wir mühsam in Yoga.-, Atem- und anderen Körperkursen (wieder) einüben, ist für Babys Grundzustand. Babys sind durch und durch sinnliche Wesen. Sie sind im Hier und Jetzt. Mit dieser sinnlichen Präsenz hat uns das Baby viel voraus. Und wenn gleich mehrere Babys zusammen sind, dann kumuliert und multipliziert sich diese Stimmung. Sofern wir sie lassen!
Wie meinen Sie das?
Kristina Pfister: Die zaubervolle Stimmung und Atmosphäre, die Babys kreieren, ist filigran und empfindlich. Wir können dem im Weg stehen, wenn wir zu viel wollen. Aus Sicht der Babys sind wir Grossen möglicherweise unsensibel und tollpatschig, wenn wir mit Erwartungen und Vorstellungen daherkommen, wie etwas oder das Kind zu sein hat, anstatt sich einfach dem Moment zu überlassen. Und sei dies nur die "harmlose" Erwartung an das Baby: Sei zufrieden und glücklich! Wir merken gar nicht, wie wir mit einem solchen Anspruch zum eigentlichen Spielverderber werden.
Dann wäre die Welt des Babys das Sein und die Welt der Grossen das Machen?
Kristina Pfister: Ja, das kann man so sagen. Es stellt sich die Frage, was intelligenter oder "förderlicher" ist: Babys aus ihrer Welt in unsere zielorientierte, komprimierte und gleichzeitig zerstreute Welt zu holen oder das umgekehrte, uns von den Babys in ihre Welt der Sinne und des Staunens einladen zu lassen?
Was wäre der Appell oder die Einladung des Babys?
Kristina Pfister: Das Baby könnte sagen: "Hallo Mama / Papa, ich weiss, du willst es gut machen, aber lass diese Förderidee und den Mich-glücklich-machen-wollen-Anspruch los. Ich habe viel mehr davon, wenn du auch zum Kind wirst und einfach entspannst und du selbst bist. Das gefällt mir - da blühe ich am besten auf. Im anderen Fall bist du ständig damit beschäftigt, mich mit deinen Förderaugen zu beobachten. Und ob ich mich auch ja wohl fühle."
Lassen sich die Eltern auf diese Einladung ein?
Kristina Pfister: Viele Eltern machen diesen Schritt in ihrer Haltung. Also weg von der Angst, hin zu Vertrauen und Liebe. Sie begeben sich auf Augenhöhe mit dem Kind, lassen alle Ansprüche, Erwartungen, das Gut-sein-wollen und das Beibringen-wollen draussen und geniessen es einfach, mit ihrem Kind in das Element Wasser einzutauchen. Dann können zauberhafte, ja sogar magische Momente entstehen in diesem sinnlichen Element. Das kann sehr berührend und voll tiefer und seliger Freude sein.
Und das reicht? Geniessen, Wonne, Sinnlichkeit - Warum ist das wichtig? Worin besteht der Nutzen?
Kristina Pfister: Was könnte wertvoller sein, als einen hohen Grad an Wohlsein und Vertrauen zu erleben? Wenn die erste Prägung von Wasser in einem grossen Becken und das Zusammensein in einer Gruppe in diese Seins-Qualitäten eingebettet ist, ist dies das beste und wertvollste, was man einem Kind mitgeben kann. Alles baut auf diesem Grundstock wohliger und achtsamer Atmosphäre auf.
In letzter Zeit sieht man immer mehr Fotos und Filme von tauchenden Babys. Wie beurteilen Sie das Babytauchen?
Kristina Pfister: Die Bilder tauchender Babys wirken spektakulär. Es ist aber nicht unbedenklich und birgt gewisse Risiken. Ich halte Babytauchen in der Gruppe weder für eine sanfte noch für eine natürliche Methode.
Wie warm muss das Wasser fürs Babyschwimmen sein?
Kristina Pfister: Ideal sind 34 Grad. Weiterhin ideal ist, wenn das Bad keine Lärmquellen hat. In unserem Kursort im Konradhof in Winterthur haben wir dieses Geschenk. Manchmal ist es so still, dass wir einem einzelnen Tropfen zuhören können - die Babys lieben das.
Das Interview führte Robert Blaser. Es ist zuerst in der Winterthurer Zeitung erschienen und wurde uns freundlicherweise zur Veröffentlichung zur Verfügung gestellt.