Eher Mädchen oder eher Jungen zeugen liegt in der Familie
Aus der Forschung
Manches ist einfach nicht fair: Familie Müller hat schon drei Töchter und immer noch keinen Sohn. Während die Meiers sich nach drei Knaben nichts sehnlicher wünschen als eine Tochter. Das entscheidet aber nicht nur der Zufall, die Wahrscheinlichkeit für einen Sohn oder eine Tochter hat auch mit Genetik zu tun. Denn die Tendenz, eher Söhne oder eher Töchter zu zeugen, erben Männer von ihren Eltern. So wird ein Mann mit vielen Brüdern eher Söhne zeugen, einer mit vielen Schwestern eher Töchter.
Dieses Ergebnis zeigte jedenfalls eine statistische Untersuchung von Bevölkerungsdaten und Familienstammbäumen aus Nordamerika und Europa. Die Forscher um Corry Gellatly von der Universität in Newcastle untersuchten 927 verschiedene Stammbäume und werteten die Daten von insgesamt mehr als einer halben Million Menschen aus.
Zur Erinnerung: Der Chromosomensatz einer Frau besteht immer aus zwei X-Chromosomen, während der Satz des Mannes immer aus einem X- und einem Y-Chromosom besteht. Bei der Verschmelzung der Eizelle der Frau mit dem männlichen Spermium steuern beide Partner immer nur ein Geschlechtschromosom des Chromosomenpaares bei. Da das Spermium ein X- oder ein Y-Chromosom in sich trägt, wird das Geschlecht eines Kindes durch die Geschlechtschromosomen des Vaters festgelegt.
Daher wirken sich die geerbten Gene nur bei den Männern auf die Geschlechterverteilung ihres Nachwuchses aus. Bei Frauen sei keine Vorhersage über diese Wahrscheinlichkeit möglich, erklärt Gellatly. Da Männer die Gene zur Veranlagung, entweder mehr Jungen oder mehr Mädchen zu zeugen, von ihren Eltern erben, nehmen die Wissenschaftler an, dass es ein Gen geben muss, dass die Wahrscheinlichkeit von männlichem oder weiblichem Nachwuchs irgendwie beeinflusst. Dieses steuert das Verhältnis von X- und Y-Spermien, vielleicht auch deren Schnelligkeit im Kampf um die befruchtungsfähige Eizelle.
Der regulierende Effekt dieses noch nicht entdeckten Gens auf das Geschlechterverhältnis sorgte nach dem Ersten Weltkrieg für einen regelrechten Knaben-Boom. Denn die Wahrscheinlichkeit, dass einer von vielen Söhnen einer Familie den Krieg überlebte, war höher als bei Familien mit nur einem männlichen Nachkommen. Die überlebenden Soldaten hatten die Veranlagung zu vielen Söhnen von ihren Eltern geerbt und zeugten nach dem Krieg besonders viele männliche Kinder. So glich sich die Anzahl von Männern und Frauen in der Bevölkerung erneut aneinander an.
Quelle: Corry Gellatly et al.: Evolutionary Biology, DOI: 10.1007/s11692-008-9046-3