Se­xu­el­le Ge­walt bei Kin­dern hat Spät­fol­gen

Aus der For­schung

trauriges Mädchen auf dem Sofa
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Ge­walt bei jun­gen Men­schen wirkt sich nicht nur auf die Psy­che aus, son­dern er­höht auch das Ri­si­ko für spä­te­re kör­per­li­che Er­kran­kun­gen. Das geht aus meh­re­ren Un­ter­su­chun­gen her­vor.

Wer im frü­hen Le­ben miss­han­delt oder se­xu­ell miss­braucht wer­de, tra­ge häu­fig nicht nur see­li­sche Schä­den da­von, son­dern sei spä­ter an­fäl­li­ger für eine chro­ni­sche Schmerz­stö­rung, be­stimm­te Herz­krank­hei­ten oder Dia­be­tes, sag­te Prof. Jo­han­nes Kru­se, Di­rek­tor der Kli­nik für Psy­cho­so­ma­tik und Psy­cho­the­ra­pie an der Jus­tus-Lie­big-Uni­ver­si­tät in Gies­sen am Ran­de des Deut­schen Kon­gres­ses für Psy­cho­so­ma­ti­sche Me­di­zin und Psy­cho­the­ra­pie (23. bis 26. März 2011). Selbst das Erb­gut kann durch solch ein­schnei­den­den Er­leb­nis­se Scha­den neh­men. Als Er­wach­se­ne lei­det mehr als die Hälf­te der Be­trof­fe­nen un­ter den Sym­pto­men ei­ner post­trau­ma­ti­schen Be­las­tungs­stö­rung.

Eine er­höh­te Ge­fähr­dung er­klä­ren Me­di­zi­ner mit dem Le­bens­stil, star­ken hor­mo­nel­len Re­ak­tio­nen un­ter Stress und chro­ni­schen Ent­zün­dungs­pro­zes­sen. "Ge­walt im Kin­des­al­ter brennt sich in die Psy­che ein. Bei die­sen Men­schen schüt­tet der Kör­per un­ter Be­las­tung ver­mehrt und über län­ge­re Zeit Stress­hor­mo­ne aus. Die Hor­mo­ne las­sen Puls und Blut­druck in die Höhe schnel­len und trei­ben die Atem­fre­quenz an.“

Die Krank­hei­ten und Be­schwer­den, die sich in der Fol­ge ent­wi­ckeln, kom­men erst Jah­re spä­ter ans Licht. Vie­le trau­ma­ti­sier­te Men­schen rau­chen, er­näh­ren sich un­ge­sund und be­we­gen sich we­ni­ger", sag­te Kru­se. Der schlech­te Um­gang mit dem ei­ge­nen Kör­per führt dann zu ei­nem hö­he­ren Krank­heits­ri­si­ko. Das Rau­chen spie­le eine gros­se Rol­le in der Be­wäl­ti­gung un­an­ge­neh­mer Af­fekt­zu­stän­de, in die die­se Pa­ti­en­ten im­mer wie­der ge­ra­ten wür­den, wenn sie von ent­spre­chen­den Er­in­ne­run­gen und Ge­füh­len über­schüt­tet wer­den. "Es dient qua­si der Selbst­be­ru­hi­gung", so Kru­se.

Man­che der Op­fer kla­gen über Schmer­zen, ohne dass die Ärz­te or­ga­ni­sche Ur­sa­chen da­für aus­ma­chen kön­nen. Die Me­di­zi­ner nen­nen die­se Be­schwer­den so­mato­for­me Stö­rung. "Bei ei­nem Drit­tel der Men­schen mit Un­ter­leibs­schmer­zen stellt sich spä­ter her­aus, dass sie Miss­brauchs­op­fer sind", sagt Kru­se. Die For­scher ver­mu­ten, dass ein Ge­dächt­nis im Kör­per sich an die schmerz­haf­ten Er­fah­run­gen er­in­nert. "Wir wis­sen, dass Men­schen, die ge­fol­tert wur­den, den sel­ben Schmerz er­le­ben, den sie von der Fol­ter­si­tua­ti­on her ken­nen", sagt Kru­se. Sie er­le­ben ei­nen Kör­per-Flash­back. Es muss bloss ei­nen as­so­zia­ti­ven Be­zug ge­ben, etwa die Ja­cke, die der Tä­ter trug oder sein Par­fum. Ir­gend­et­was, das die Er­in­ne­rung wach­ruft.

Kör­per­li­che Über­grif­fe auf Kin­der ge­sche­hen häu­fig. Fünf bis zehn Pro­zent al­ler Kin­der in Deutsch­land sei­en Stu­di­en zu­fol­ge Op­fer von se­xu­el­lem Miss­brauch.  Un­ter hun­dert Mäd­chen sind nach ei­nem Ge­sund­heits­be­richt des Bun­des von 2008 zwi­schen zehn und acht­zehn Miss­brauchs­op­fer, un­ter den Jun­gen sind es zwi­schen fünf und sie­ben von hun­dert. Mehr als ein Zehn­tel der Kin­der er­lebt schwe­re häus­li­che Ge­walt.

Dass vie­le der Miss­brauchs­op­fer im spä­te­ren Le­ben sol­che so­mato­for­men Stö­run­gen zei­gen, ha­ben auch Mol­ly Pa­ras und ihre Kol­le­gen vom Mayo Cli­nic Col­le­ge of Me­di­ci­ne in Min­ne­so­ta in den USA er­forscht. Ihre Er­geb­nis­se ha­ben sie 2009 im Jour­nal of the Ame­ri­can Me­di­cal As­so­cia­ti­on ver­öf­fent­licht. Sie ana­ly­sier­ten sys­te­ma­tisch die Er­geb­nis­se aus 23 Stu­di­en, die zwi­schen 1980 und 2008 ent­stan­den wa­ren. Pa­ras und ihr Team stell­ten fest, dass die Op­fer häu­fig an un­spe­zi­fi­schen Schmer­zen, chro­ni­schen Un­ter­leibs­schmer­zen und un­ter psy­chi­schen An­fäl­len lei­den.

2008 ha­ben ame­ri­ka­ni­sche Kol­le­gen von der Duke Uni­ver­si­ty in Durham in ei­ner Stu­die mit 15.000 Ju­gend­li­chen un­ter­sucht, ob es ei­nen Zu­sam­men­hang zwi­schen ei­nem trau­ma­ti­schen Er­leb­nis und dem spä­te­ren Rau­chen gibt. Sie konn­ten be­le­gen, dass die Her­an­wach­sen­den, de­nen Ge­walt wi­der­fah­ren war, ver­mehrt zu ei­ner le­bens­lan­gen Ni­ko­tin­sucht nei­gen. Je län­ger ein Op­fer kör­per­li­cher und se­xu­el­ler Ge­walt aus­ge­setzt ist, des­to mehr Zi­ga­ret­ten raucht es pro Tag. 60% der Ju­gend­li­chen, die in dem Jahr zu­vor eine trau­ma­ti­sche Er­fah­rung ge­macht hat­ten, rauch­ten in die­ser Zeit re­gel­mäs­sig. Von den­je­ni­gen, die in der Be­fra­gung über kein Trau­ma be­rich­te­ten, rauch­ten 40%. Wei­te­re Stu­di­en, die sich mit dem The­ma be­fas­sen, be­le­gen ähn­li­che Zu­sam­men­hän­ge.

An­de­re For­scher konn­ten zei­gen, dass weib­li­che Miss­brauchs­op­fer zu ei­nem hö­he­ren Body-Mass-In­dex (BMI) nei­gen. In der Fol­ge ent­wi­ckeln die­se Frau­en spä­ter ver­mehrt Dia­be­tes Typ-2. Zu dem Er­geb­nis kom­men Ja­net Rich-Ed­wards und Kol­le­gen von der Har­vard School of Pu­blic Health in Bos­ton in ih­rer Stu­die, die sie 2010 im Ame­ri­can Jour­nal of Pre­ven­ti­ve Me­di­ci­ne ver­öf­fent­licht ha­ben. Sie ha­ben da­für die Da­ten von 67.853 Frau­en un­ter­sucht. 54 Pro­zent der Pa­ti­en­tin­nen er­lit­ten in ih­rer Kind­heit bis Ju­gend leich­te bis schwe­re kör­per­li­che oder se­xu­el­le Ge­walt. Die­je­ni­gen Frau­en, die nur leich­te Ge­walt, etwa eine Ohr­fei­ge, zu spü­ren be­ka­men, ent­wi­ckel­ten zwar kein hö­he­res Ri­si­ko für Dia­be­tes. Doch die Frau­en, die mitt­le­rer bis schwe­rer Ge­walt in ih­rer Kind­heit aus­ge­setzt wa­ren, hat­ten ein 26 bis 54 Pro­zent hö­he­res Ri­si­ko als die Ver­gleichs­grup­pe, spä­ter an Dia­be­tes zu er­kran­ken. Leich­te se­xu­el­le Über­grif­fe stei­ger­ten das Ri­si­ko für Dia­be­tes um 16 Pro­zent und er­zwun­ge­ner Sex um bis zu 69 Pro­zent.

Aus der For­schung:
Mol­ly L. Pa­ras et al.:  JAMA 2009; 302(5), S. 550-561.
Mi­guel E. Ro­berts et al.: J Ado­lesc. Health 2008; 42(3), S. 266–274.
Ja­net W. Rich-Ed­wards et al.: Am. J. Prev. Med. 2010; 39 (6), S. 529-536.

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