Das "zweite Kind" waren zwei
Als Andrea Hediger und ihr Mann erfuhren, dass sie Zwillinge erwarten, war sie erst mal schockiert - und er ging nachschauen, ob im Auto drei Kindersitze Platz finden würden. Einen Sohn hatten sie nämlich bereits und nun hatten sie erfahren, dass sie nach der Geburt nicht zu viert, sondern zu fünft sein würden. Da alle Voraussetzungen stimmten, konnte Andrea Hediger die Zwillinge - einen Sohn und eine Tochter - spontan gebären. Mit dem Stillen klappte es nur kurz. Nach dem Abstillen konnte sie über die Mütter- und Väterberatung das Schoppenpulver vergünstigt beziehen.
Die erste Zeit mit den Zwillingen war eine grosse Herausforderung. Der grosse Bruder war mit seinen bald drei Jahren im besten Trotzalter und forderte viel Aufmerksamkeit, die Babys weckten einander nachts zwar nicht, schliefen aber beide schlecht, was bedeutete, dass eigentlich fast immer eines der beiden Babys am Schreien war. Obendrein waren sie viel krank, was die Situation zusätzlich erschwerte. Vor allem, als ihr Mann das Haus umbaute, geriet Andrea Hediger stark an ihre Grenzen. "In dieser Zeit habe ich nur funktioniert. Manchmal war ich einfach froh, wenn ich wieder einen Tag überstanden hatte", sagt die Mutter über diese anstrengende Zeit.
Es war eine Zeit, in der sie sehr froh war darum, dass sie auf die Unterstützung von Eltern, Schwiegereltern und Freunden zählen konnte. Oft wurden sie und ihr Mann gefragt, ob sie nicht mal ein Wochenende wegfahren möchten, doch in dieser Lebensphase war dies gar kein Bedürfnis. Auch die Kinder mal eine Nacht auswärts übernachten zu lassen, bedeutete mehr Stress als Erholung, da alleine das Packen der Taschen schon ein riesiger Aufwand war. Wenn die Kinder mal auswärts schliefen, dann stets gemeinsam.
Viel wichtiger waren die kleinen, alltäglichen Dinge: Dass Andrea Hediger Wege fand, tagsüber verpassten Schlaf nachzuholen. Dass ihr Mann über Mittag nach Hause kam, was dem Tag eine Struktur gab. Dass die Kinder mit der Zeit lernten, eine Mittagsruhe einzuhalten. Dass man mit der Zeit wieder etwas mobiler wurde. Der erste Kinderwagen war ein Modell aus zweiter Hand, ein schweres Ding, das sich nur schlecht lenken liess. Zur Taufe der Zwillinge wünschten sich die Eltern deshalb einen multifunktionalen Kinderanhänger, mit dem die Familie viel besser unterwegs war. Später sorgte eine Tandem-Kuppelung, mit der das Kindervelo ans Erwachsenenvelo gekoppelt werden kann, für mehr Mobilität im Alltag.
Inzwischen sind die Zwillinge im Kindergarten. Sie sind nicht in der gleichen Klasse, aber im gleichen Gebäude. Vor allem die Tochter hatte anfangs Mühe, ohne den Bruder in der Gruppe zu sein, weil sie ihn aber jederzeit "besuchen" durfte, läuft es inzwischen ganz gut. Die Eltern durften selber entscheiden, ob die Kinder zusammen oder getrennt eingeschult werden. Weil sich der Zwillingsbruder von seiner Schwester oft bemuttern lässt und sie für ihn Aufgaben übernimmt, entschieden sich die Eltern für getrennte Gruppen. Für Andrea Hediger und ihren Mann ist es sehr wertvoll, dass sie sich mit befreundeten Eltern, die ein gleichaltriges Zwillingspaar haben, über solche Themen austauschen können.
Unter den Geschwistern ist der grosse Bruder ganz klar der Chef. "Die Zwillinge haben noch nicht gemerkt, dass sie stärker wären als er, wenn sie sich gegen ihn verbündeten", sagt die Mutter. Als Junge und Mädchen interessieren sich die Zwillinge für ganz unterschiedliche Dinge, so dass Konflikte um die gleichen Spielsachen selten sind. Doppelt kaufen war also selten nötig, die Kinder spielen einfach mit dem, was sie zur Verfügung haben. Auch die Gefahr des Vergleichens ist nicht so gross. "Wenn, dann werden eher die Jungs miteinander verglichen", erklärt Andrea Hediger.
Mutter von Zwillingen zu werden, hat Andrea Hedigers Pläne ziemlich über den Haufen geworfen. Ihren Teilzeitjob als Kindergärtnerin gab sie erst einmal auf, um für die Kinder da zu sein. Zuweilen war es frustrierend, als Pädagogin genau zu wissen, was eigentlich gut wäre für die Kinder, dies aber nicht umsetzen zu können, weil da einfach zu wenig Zeit oder Kraft blieb, um so auf die Bedürfnisse einzugehen, wie es die Situation erfordert hätte. Dennoch ist die dreifache Mutter überzeugt, dass die intensive Zeit viel Gutes hatte: "Wenn du Zwillinge hast, musst du dich voll auf die Kinder einlassen. Du merkst, was du wirklich brauchst im Leben und was du nicht nötig hast."
Seitdem die Zwillinge im Kindergarten sind, hat Andrea Hediger wieder etwas mehr Zeit für sich selbst. Gelegentlich übernimmt sie auch wieder Stellvertretungen als Kindergärtnerin. "Lange Zeit war ich wie weg von der Welt, jetzt fühlt es sich an, als würde ich auftauchen", umschreibt die dreifache Mutter ihre Gefühle. Wieder mal alleine ausser Haus zu gehen, sich eine Massage zu gönnen oder die Atemtherapie zu besuchen, das tut nach der intensiven Kleinkinderzeit richtig gut.
Unter www.mehrlingsverein.ch finden Sie Adressen, wenn Sie sich mit anderen Mehrlingseltern vernetzen möchten.