Genetische Ursachen bei Kinderlosigkeit
Schwangerschaften nach einer Sterilitätsbehandlung unterscheiden sich in genetischer Hinsicht grundsätzlich nicht von jenen nach natürlicher Befruchtung.
Auch unter optimalen Voraussetzungen endet ein sehr hoher Anteil aller Schwangerschaften vorzeitig in einer Fehlgeburt (Spontanabort). Oft geschieht das so kurz nach der Einnistung, dass die Schwangerschaft unbemerkt bleibt, denn für einen positiven Schwangerschaftstest wäre es noch zu früh. Man vermutet, dass Veränderungen am Erbgut bei 50% aller Schwangerschaften zu einer Fehlgeburt führt. Bei Aborten, die vor der erwarteten Regelblutung (also unbemerkt) auftreten, nimmt man sogar bis zu 80% Chromosomenveränderungen als Ursache an. Diese Zahlen zeigen, welche Mechanismen die Natur hat, um kranke, meistens genetisch defekte, Embryonen auszusondern.
Am häufigsten sind bei frühen Fehlgeburten zahlenmässige Veränderungen im Chromosomensatz die Ursache. Statt 46 Chromosomen weisen diese Embryonen 47 oder nur 45 Träger des Erbguts auf (Monosomien oder Trisomien). Es überwiegen Embryonen mit einem fehlenden X- oder Y-Chromosom (45,X0: das sogenannte Turner-Syndrom ) und die Trisomie 16 (Verdreifachung anstatt nur Verdoppelung des 16-er Chromosoms). Während Kinder mit einer Trisomie 16 nicht lebensfähig sind, kann bei der 45, X0-Konstellation ein lebensfähiges Mädchen geboren werden. Diese sind jedoch wegen nicht ausgebildeter Eierstöcke unfruchtbar.
Zahlenmässige Veränderungen des Erbguts treten sporadisch auf, das heisst ohne erkennbaren Grund. Die Wahrscheinlichkeit, in der nächsten Schwangerschaft ebenfalls einen Abort aus diesen Gründen zu erleiden, ist sehr gering. Das Risiko für eine nochmalige Fehlgeburt steigt erst nach drei spontanen Fehlgeburten (sog. habituelle Aborte) an. Bei ca. 10% aller Paare mit mehreren Aborten ist nämlich eine Veränderung im Chromosomensatz eines Partners (balancierte Translokation, siehe unten) die Ursache dafür, dass der Embryo nicht überleben konnte. Daher ist es nach mehreren Spontanaborten angebracht, eine Chromosomenanalyse bei beiden Partnern durchzuführen. Für die Chromosomenaufarbeitung ist nur eine einfache Blutentnahme notwendig.
Bei einer Chromosomen-Translokation werden Gene, also das Erbgut auf den Chromosomen, innerhalb der Chromosomenpaare "verschoben". Ein Chromosom hat danach mehr Gene als normal und dem Partner-Chromosom fehlen die entsprechenden Gene. Für das betroffene Elternteil hat das keine Konsequenzen, denn die beiden Gene sind ja insgesamt in jeder Zelle vorhanden und verrichten ihre "Arbeit", wenngleich sie auch nicht auf dem richtigen Chromosom liegen. Man nennt das eine "balancierte" oder ausgeglichene Translokation. Wenn Menschen mit einer balancierten Translokation ihre Spermien oder Eizellen bilden, werden bei den entsprechenden Reifeteilungen die Chromosomensätze wie üblich "halbiert". Dies ist ein normaler Vorgang, denn Eizelle und Spermium dürfen ja jeweils nur 23 Chromosomen haben, damit sie bei der Verschmelzung einen neuen Chromosomensatz mit 46 Chromosomen bilden können. Bei Eltern mit einer Translokation ergibt sich jedoch das Problem, dass bei einigen Spermien/Eizellen die "verschobenen" Gene nun zweimal auf einem Chromosom angelegt sind und bei einigen gar nicht vorhanden. Dies muss nicht zwangsläufig zu einem Abort führen, denn viele Gene werden beim Menschen gar nicht "gebraucht". Lebensfähige, gesunde und unauffällige Kinder können also entstehen. Bei einigen ungünstigen Konstellationen muss man dagegen von weiteren Schwangerschaften evtl. sogar abraten oder, wenn der Mann betroffen ist, eine Behandlung mit Spendersamen (heterologe Insemination) in Erwägung ziehen. Eine umfassende humangenetische Beratung ist zu empfehlen.
Bei erhöhtem genetischen Risiko in einer Schwangerschaft sollte über eine invasive pränatale Diagnostik, also die Untersuchung der kindlichen Chromosomen durch Chorionzottenbiopsie oder Fruchtwasseruntersuchung, nachgedacht werden. Da diese Untersuchungen selbst auch mit einem Fehlgeburtsrisiko behaftet sind, entsteht ein Dilemma. Die Situation sollte deshalb unter Berücksichtigung der persönlichen Lebensumstände und der vorliegenden humangenetischen Befunde mit den behandelnden Ärzten ausführlich besprochen werden.